Beschreibung
Hundert Jahre nach Theodor Herzl und dem Basler Zionistenkongreß ist Israel zur liebsten Projektionsfläche der deutschen Ideologie geworden. Staatstragende Philosemiten wie oppositionelle Antizionisten behaupten unisono, dieser Staat sei etwas Besonderes, Einzigartiges, Außergewöhnliches. Das Besondere an Israel aber ist nur die Kehrseite des einzigartigen Ereignisses des Massenvernichtung, aus der niemand, weder die Philosemiten noch die Antizionisten, die Konsequenz zu ziehen bereit ist. Es ist diese kollektive Verdrängung, die in den Projektionen ausagiert wird - nicht zuletzt von links. Der Antisemitismus, den die bürgerlichen Gesellschaften im Innern notwendig erzeugen, drückt sich auch geopolitisch aus. Als bürgerliche Gesellschaft der Juden in Nahost ist Israel dadurch in eine Zwangslage geraten, als Staat eine unfreiwillige Reprise der klassischen, aus dem Mittelalter bekannten Rolle des Schutzjuden aufzuführen, nur diesmal, zum Glück, nicht unbewaffnet. Von der BRD zwecks Wiedergutmachung nicht der Vernichtung, sondern der Nation einstweilen hofiert, von den USA bislang subventioniert, als einzige bürgerliche Demokratie im sog. Trikont vom Westen privilegiert, ist Israel doch zugleich völlig von den strategischen Interessen der amerikanischen Weltmarktpolizei abhängig. Israels Privilegierung ist die genaue Kehrseite seiner existentiellen Bedrohung. Die Projektionen der deutschen Ideologie auf Israel haben mit Israels politökonomischer Konstitution wie mit den tatsächlichen Konditionen seiner Existenz im Nahen Osten so wenig gemein wie der Antisemitismus mit dem Objekt seiner Liquidationssehnsüchte. Charakter und Inhalt dieser Projektion vereinen die Deutschen aller Fraktionen zur Volksgemeinschaft im Wartestand.