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Zwei schwarze Jäger

Roman

Erschienen am 24.08.2009
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608938852
Sprache: Deutsch
Umfang: 286 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Mit ihrem neuen Roman umkreist Brigitte Kronauer bravourös die Möglichkeiten zwischen der Pragmatik alltäglicher Lebensläufe und den gelingenden Aufschwüngen, den Glücksmomenten in Natur, Liebe und Kunst, die uns bestimmen. Wie in einem Treppenhaus kreuzen sich in diesem Buch die Geschichten und Erinnerungen. Alles scheint der Vorstellungskraft der Schriftstellerin Rita Palka zu entspringen, die sich gelegentlich selbst unter ihr Personal mischt, das verschiedener nicht sein könnte. Ob es nun die Dame im Rollstuhl ist, die ihren ehemaligen Liebhaber auffordert den Don Juan der Nachbarschaft zu spielen; die Kassiererin, die der Tristesse entfliehen will und Prostituierte wird; der Verlagslektor, der sich in einen Kellner verliebt; oder Wally, die nur zwei Nächte ihres Lebens mit einem Mann verbracht hat. Sie alle verbindet die Sehnsucht nach den verdeckten Träumen des Alltags, in einer Welt, die diese unerfüllbar und lächerlich macht. Und so rücken die Figuren mit ihren Ängsten und Niederlagen immer dichter zusammen, ohne zu ahnen, dass eine von ihnen zur Mörderin wird.

Autorenportrait

Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebte als freie Schriftstellerin in Hamburg. Ihr schriftstellerisches Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich-Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Jean-Paul-Preis ausgezeichnet. 2005 wurde ihr von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Büchner-Preis verliehen. Brigitte Kronauer verstarb im Juli 2019.

Leseprobe

Destruktion Die elegante Frau, wie sie erschrocken am Fenster sitzt! Und was für ein kerzengerader Oberkörper! Sie ist seit ein paar Minuten immer bleicher geworden, verblichen all die schöne Jugendlichkeit, an die doch auch Sie auf den ersten Blick geglaubt haben. Da hilft das Rouge, so vorbildlich auf den Wangenknochen aufgetragen, überhaupt nichts. Ganz weiß ist Helene Pilz geworden. Der Mann bemerkt nichts davon. Er hat ja auch das echte und künstliche Blühen ihres Teints zu Anfang weder unterschieden, noch wenigstens wahrgenommen. 'Da', sagt sie, wie leicht betrunken oder gegen eine große Erschöpfung ankämpfend, 'auf der anderen Straßenseite kannst du sie alle begutachten, Frau Bernadotte, Frau Lemnitz, Frau Rottmann, Frau Becher-Hahn. Kein Wunder, daß Frau Mülleis, Wally Mülleis, die große Ausnahme hier, in diesem Gremium fehlt.' Hört er das denn nicht? Er sitzt tiefer als sie, das liegt an dem hölzernen Podest, auf dem ihr Stuhl steht. Ein kleine Rampe führt zu ihr hoch und zu ihm auf den normalen Fußboden runter. Der Mann muß ein guter Sportler sein, etwas Durchtrainiertes, auf dem Sprung Stehendes geht von ihm aus, trotz der ersten grauen Haare, die Sie oben auf seinem Kopf sehen. Er hat seine Stirn gegen den nackten Oberarm der Frau gepreßt. Wirkt es nicht unfreiwillig bußfertig? Auch der Frau, wenn sie den Blick vom Fenster wendet, entgeht das Grau zwischen dem Schwarz nicht. Sie berührt die Strähnen mit der freien Hand. Im ersten Moment wollte sie ihm wohl fünffingrig und roh in die dicken Locken fahren. Dann hat sie es sich mitten in der Bewegung anders überlegt und findet ihre Kursänderung, die sie selbst überrascht, gravierend. Vor Kummer beginnt sie zu lächeln, spielt nur sehr behutsam mit diesem und jenem Haar. Auch Sie werden sich fragen, ob solche Vorsicht nicht übertrieben ist, und ob, natürlich, die Frau in Wahrheit mit Erinnerungen tändelt, und ob nicht die es sind, die sie geistesabwesend nach ihren verschiedenen Tönungen zählt und sortiert. Die Maserung ist anscheinend etwas Neues für sie. Das Haupthaar selbst ist es nicht. Da kennt sie wohl alle Wirbel. Ihr betrübtes Lächeln bleibt ihm verborgen. 'Heimkehr des verlorenen Sohnes', flüstert die Frau schließlich und mit großer Anstrengung, besonders der spöttische Ton hat sie harte Arbeit gekostet. Der Mann sagt noch immer nichts, rührt sich nicht. Da greift die Frau nach einem Messer auf der Fensterbank. Etappenweise prüft sie ihr Gesicht in der spiegelnden Klinge. Sie wird doch nicht zu weinen anfangen? Um dem zuvorzukommen, murmelt sie vor sich hin: 'Meine Hände sind richtige Eidechsen geworden.' Eine kaum rückgängig zu machende Brutalität ist das, deshalb fügt sie, mit dem winzigen Überrest einer Hoffnung den Locksatz hinzu: 'Ich sollte sie lieber in Handschuhen verstecken.' Da hebt er tatsächlich aufwachend den Kopf, er erinnert sich! Er lächelt sie an: 'Helena!' 'Also doch', flüstert die Frau und wird, sehen Sie nur genau hin, ein bißchen rot. Er konzentriert sich und plustert dazu, genau wie früher, ganz kurios den oberen Wangenteil auf. Wie früher legt er den Kaffeelöffel prinzipiell auf die Tischdecke und stellt die Tasse immer neben die Untertasse. Eine Art Freiheitsdurst wahrscheinlich. Von allein fällt es ihm aber nicht vollständig ein, denkt die Frau und wird wieder um das Wangenrouge herum blasser. 'Moment, ich hab's gleich, Moment, Moment.' Auch das genau wie damals, denkt die Frau, zur Bekräftigung immer die Wortwiederholung! 'Natürlich, ja sicher, der schwarze Samt über der Innenhand, darin der Hotelzimmerschlüssel mit der Nummer nach oben gedreht.' 'Dreiundachtzig', entwischt der Frau. Sie ärgert sich, zu spät, über ihre Voreiligkeit. 'Natürlich!' Er schlägt sich locker gegen die Stirn. 'Nur kurz hast du böses Mädchen die Hand geöffnet. Dein Mann saß neben dir. Warte, dann verschwand der Schlüssel in deiner Tasche. Dann hast du ihn, warte, im Abendkleid zum Bahnhof gefahren. Jedenfalls war nicht er es, der bei dir übernachtet hat. Das kann ich bezeugen.' Er lacht fröhlich, charmant gockelhaft. Mein Gott, nichts verlernt! 'Da steht es wieder vor mir. Ach, du Gute, wie lange das her ist, ein ganzes Leben. Ich hätte dich öfter besuchen sollen. Du Gute und dein treues Gedächtnis!' Weinen kann sie jetzt trotzdem nicht, nicht bei dieser Art von Schmerz zu seinem Wortgetätschel. Es hätte ihrer Niederlage die Krone aufgesetzt. 'In dieser Nacht', fährt sie fort und spielt nun, gewitzter, stammelndes Vergegenwärtigen, 'da hast du mir gestanden, daß du mit achtzehn, oder neunzehn? stundenlang versucht hast, die Unterschrift deines Vaters zu imitieren, um dir in seinem Namen Schecks auszustellen.' Das gefällt ihm nicht: 'Um Gottes willen. Ich hab's doch dann nie gemacht.' 'Und, daß ihr bei Polizeiverhören die milde Zigarettenfolter benutzt, nämlich die Leute mit den gelben Fingerspitzen durch Vorqualmen erst nervös, dann weich kriegt.' 'So ein Zeugs hast du aus einer solchen Nacht behalten?' 'Du, Schätzchen, hast es in einer solchen Nacht erzählt.' Ah, zumindest ist er jetzt leicht gekränkt! Er fährt ja richtig von ihr zurück. Das hübsche, beleidigte Schnütchen! 'Nun, nun', meint sie, 'vielleicht verwechsle ich was, zu lange her.' Und schrecklich ist es, und ein Genuß, so zu lügen! Eigentlich riecht er auch noch wie früher und ahnt nach wie vor nicht im mindesten, was sie für ihn ohne einen einzigen Klagelaut hingeworfen hat. Amour fou, das herrliche Wort! Kein Blick zurück auf den Ehemann und den kleinen, gemeinsamen Sohn (nur allein, bei abgeschlossener Tür), keine Angst vor dem gewaltigen Altersunterschied. Der Wunsch zur Geburt ihres Kindes war aber doch der gewesen, Gott hätte nur dieses eine zugelassen auf der Welt. Unbegreiflich, daß ein solches Wunder ein Massenphänomen sein sollte. Weg mit den unerwünschten Relativierungen durch Milliarden säugender Mütter! Sie alle banalisierten ihren Einzigen. Doch dann, etwas später, hatte es sie durchfahren, an einem Dienstag, während der Arbeit des Fensterputzers, der seine Anzüglichkeiten steif und fest für Service an den Hausfrauen hielt, gerade, als die Scheiben in der Sonne zu blitzen anfingen: Das Leben, die Liebe, die Fülle der Jugend! War sie nicht immer auf solche Leuchttürme zugesegelt, und plötzlich merkte sie, wie sie daran vorüberglitt, wie sie nicht mehr in steiler Vorwärtsfahrt die Lichter im Visier hatte, sondern schon, ohne ihnen nahe gekommen zu sein, in voller Fahrt und Entfernung, begierig darauf zurückblickte? Gerade da mußte dieser hier auftauchen, unwiderstehlich geeignet für ihre Seelenlage. Ein Mann, der sich irgendwann, womit zu rechnen gewesen war, nach vier Jahren und zwei Monaten auf- und davonmachte. Für ihn ging das allmählich vor sich, ihr verriet er sich nach vier Jahren und zwei Wochen in einer einzigen ausschlaggebenden Sekunde. Durch die Schaufensterscheibe irgendeines Geschäftes hindurch, vor der er sie ohne Zeitgefühl warten ließ, plauderte er es aus, in die Augen der blutjungen Kassiererin hinein, das kindlich glückliche, sich brüstende Verführerlächeln, das noch anhielt, als er nach draußen trat, und sofort erlosch, als er sie warten sah, als sie ihm wieder in den Sinn kam. Gefallene Würfel, ein für allemal. Und doch haut es sie beinahe um, wie selbstverständlich er den Sohn spielt mit dem wieder gebeugten, wie reumütig kuschelnden Kopf an ihrem Arm. Nein, nie mehr zurückzuerobern, der Schlitzohrige. Aus diesem anziehend verschlagenen Gesicht heraus empfindet er in aller Unschuld die Welt. Man müßte sich diesen Schnitt der Augen kaufen, mieten, man müßte ihn durch Heirat an sich fesseln können. Dann hätte man eine so leichtsinnige Deutung der Welt, durch pure Mimik vielleicht ansteckend, immer um sich herum. Nun ist der Mensch zurück, in gewisser Weise zufällig, will erotisch neutral hier wohnen, umständehalber, als Freund bei seiner 'Guten', besser noch, so sieht er es nun mal, als Sohn bei der mütterlichen, allem Bösen, allem Irdischen e... Leseprobe

Schlagzeile

Ein neuer Schwebetrick der großen Brigitte Kronauer