Beschreibung
Trotz aller Hochachtung und Bewunderung, deren Seneca sich erfreuen durfte, blieben ihm doch Gehässigkeiten und Verleumdungen mancherlei Art nicht erspart. Wie hätte das auch im damaligen Rom, dieser Brutstätte aller Laster, anders sein können. Gewiß hatte er seine Schwächen und war sich ihrer bewußt. Gibt er uns doch wiederholt die Versicherung, er halte sich durchaus nicht für einen Weisen, sondern rechne sich nur unter die Zahl der Fortschreitenden, die im Aufstieg nach der steilen Höhe der Weisheit und Tugend begriffen waren. In seinen theoretischen Ansichten über den Kampf des bösen Prinzips mit dem Guten ist er nie zu befriedigender Klarheit gelangt. Bald kann er nicht Worte genug finden, um die radikale und unüberwindliche Macht des Bösen als eigentliche Naturanlage des Menschen zu schildern; bald erklärt er es für eine unbedingte Forderung an die Menschen, alle Leidenschaften bis auf die letzte Spur aus der Seele auszurotten. Er glaubte mit der Stoa an die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Radikalkur. Bei ihm nimmt das eine Form an, als könnte der Mensch durch einen kühnen Schwung sich auf seine eigenen Schultern stellen und von diesem erhabenen Standpunkt verächtlich auf sein nunmehriges Piedestal herabblicken. Allein das sind Auswüchse der Antithesensucht, an der er krankte und auf die wir bei der Charakterisierung seiner Barstellungsweise zurückkommen werden. [Aus der Einleitung] Der Neusatz des Textes folgt der Ausgabe Leipzig 1923 und 1924, erschienen im Felix Meiner Verlag.
Autorenportrait
Lucius Annaeus Seneca (ca. 1-65 n. Chr.), römischer Philosoph, Dichter, Naturforscher und Staatsmann war als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit und einer der bedeutendsten Gestalten im antiken Rom. Als Schriftsteller prägte und beeinflußte er maßgeblich die römische Literatur. Neben philosophischen und naturwissenschaftlichen Schriften verfaßte er bedeutende Reden, Satiren, Verstragödien und Briefe. Vom Jahr 49 an war er der maßgebliche Erzieher bzw. Berater des späteren Kaisers Nero. Wohl um diesen auf seine künftigen Aufgaben vorzubereiten, verfaßte er eine Denkschrift darüber, warum es weise sei, als Herrscher Milde walten zu lassen (De clementia). Als Stoiker rief er zum rechten Maß im Leben, zur Vernunft und zur Menschlichkeit auf. Seinem Bemühen, Neros eigensüchtig ausschweifendem Temperament gegenzusteuern, war jedoch kein dauerhafter Erfolg beschieden. Zuletzt wurde er vom Kaiser der Beteiligung an der pisonischen Verschwörung beschuldigt und ihm wurde die Selbsttötung befohlen.