Beschreibung
Alle Türen, sind sie auf oder geschlossen? Die Operette würde immer behaupten: sie sind beides. Sie finden dort Flügeltüren, Tunnel und Tapetentüren, spukhafte Geistertüren und die Türen, die sich in der Welle auftun, um einen zu verschlingen und an ganz anderer Stelle abzuliefern. Nicht zu schweigen: von den Türen, die auf die Bühne gehen, Dielen, bevölkert mit Füchsen und Faunen, humanen und posthumanen Agenten, dem aufgekratzten Operettenchor. Die Kulissen stammen aus dem Hause Negativität&Ramsch und werden von Fasanen geschoben. Alles liegt offen da, das Licht ist silbern, die Tage überblenden, niemand verlässt den Raum. Rinck lenkt ihre Aufmerksamkeit auf die Frau als Mensch, die Unbeständigkeit der Wilden Seele, die Grand-Duchesse von Gerolstein, den Grand Pacific Garbage Patch und die allgegenwärtige Groteske der Grenzen und deutsche Dünnhäutigkeit. Doch bei aller Ausgelassenheit geht es in ALLE TÜREN um die Grenze, den Ausschluss, das Wegerecht, die freie und die versperrte Passage. Das sind die Grenzen der Operette. Wer sich eben noch frohen Muts in den Strudel hineinwarf, wird jetzt von Plastikmüll umkreist und die Temperaturen steigen. Nicht zuletzt ist ALLE TÜREN eine tiefe Verbeugung vor Jacques Offenbach, der im Jahr 2019 seinen 200. Geburtstag feiert. Ein ruhigeres Schlusskapitel, das den Titel MERCI trägt, gedenkt der Toten, bedankt sich und schnauft kräftig aus. Das könnte gerade noch gut gegangen sein.
Autorenportrait
Monika Rinck lebt in Berlin. Sie studierte Religionswissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik in Bochum, Berlin und an der Yale-University New Haven. Seit 1989 diverse Veröffentlichungen in vielen Verlagen. Im Frühjahr 2012 erschien der Lyrikband Honigprotokolle bei kookbooks, für den sie den Peter-Huchel-Preis erhielt. Im Frühjahr 2015 folgte Risiko und Idiotie. Streitschriften. Monika Rinck ist Mitglied im P.E.N.-Club, der Lyrikknappschaft Schöneberg, der Akademie der Künste Berlin und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sie übersetzt, gemeinsam mit Orsolya Kalász aus dem Ungarischen, kooperiert mit Musiker*innen und Komponist*innen und lehrt von Zeit zu Zeit. Im Frühjahr 2018 erschien KRITIK DER MOTORKRAFT bei brueterich press, im Frühjahr 2019 folgt das große Rinck-Lesebuch Champagner für die Pferde bei S. Fischer. www.begriffsstudio.de
Leseprobe
UND SPUCKTEST [für meine Freunde] Und spucktest in großer Menge pechschwarzen Speichel in das Nichtschwimmerbecken, weil du so überaus glücklich warst und deine Haut ihre Empfindsamkeit zu einem Militärzelt vergrößerte. Darin kochte deine Angst. Gulasch für die ganze Kompanie. Ich habe dann das dünne Haar geöffnet, wodurch ich es halbierte, und drittelte, schließlich viertelte. Die Unschuldigen waren nach wie vor in Haft. Erinnerungen stiften am Abweg. Drei Monate sind ein kleiner Abschied. Als in einer windigen Nacht die Worte und Ketten zurückkamen. Der Wind, der in der Nacht zu dir kam, der dich die Pranken der Löwin verstehen ließ, der dich die weite Seele des Mannes verstehen hieß, der dich all dies in einem unberührten Raum so angefasst verstehen ließ, in einer Nacht, als das Wasser unter dir schwappte und das gelbe Licht der Lampen auf dich hinabkam wie Regen. Übermüdet warst du und hellwach im Wind dieser Nacht. Du warst ich. Ich verstand, was passiert und was passiert war. Die lieben Pranken verstand ich. Ihre Sorge, ihre Verführung. Die leise Verzweiflung hörte ich sehr laut mit mir sprechen in einer Sprache, die ich niemals lernte und sie so verstand, wie Schwierigkeiten sich zu verstehen geben. Ohne Acht. Und den Mann verstand ich: dass es darauf ankommt dazubleiben, auch wenn die Wünsche der anderen dir nicht wohlgesonnen sind, wenn sie dich nicht betreffen, wenn sie sich daranmachen, teilnahmslos, die deinigen auszulöschen, und es nicht einmal wissen. Sind sie aber für die anderen ein guter Tumult, eine Sache, Not oder Panik, man möge sie nicht alleine lassen, nur weil man von ihnen nicht gemeint ist und ganz am Rande steht, von wo die Mitte zügig an die Grenze driftet. Jetzt auch verstehe ich den Wind. Nur die Mutlosigkeit nicht, die so leicht zu verstehen ist, die verstehe ich nicht. Ich verstehe den Wind. Und die Stärke. Die Stärke und Liebe des Menschen in seinen Wünschen und ihn darin nicht alleine zu lassen, ihn zu begeistern. Und eine löwische Pranke der Löwin und wie besonders die Lippen der Löwin waren, in dieser Geschichte. Es scheint, als wäre mein Gehör heut wie neu, und das Wasser, das Wasser, das Wasser sehe ich auch neu. * * * Der Wind, die Autos, ihr Vorbeirasen, was für ein Tag? Samstag. Daher das Rasen. Die Lichter vom gegen- überliegenden Ufer, das Schwappen des Wassers, das hochkante Streifen des getrockneten Laubs, wie laut das ist. Möwen, die sich den Aufwind zunutze machen. Ein schneller Flügelschlag, dann zu gleiten, das muss Lust sein. Und ein Tanker, in geschmeidiger Geschwindigkeit, lautlos. Gestern Nacht wolltest du mutig sein. Gestern Nacht wolltest du nie wieder lügen. Der Sprache wolltest du dich voll und ganz antragen. Du wolltest die Sprache nur noch für die Wahrheit verwenden und für nichts anderes mehr.