Beschreibung
Die Krise des Weltsystems und die neue Begriffslosigkeit Soweit in einer Zeit, in der das herrschende System keiner Legitimation mehr zu bedürfen scheint, überhaupt noch reflexiv gedacht wird, wirkt dieses Denken merkwürdig anachronistisch. Das gilt nicht nur für den aktuellen Inhalt, sondern auch für die Kategorien selbst, in denen dieser Inhalt sich darstellt. Wie es in wachsendem Umfang neue und schreiende soziale Gegensätze gibt, die sich aber nicht mehr mit eindeutigen soziologischen Modellen oder Klassenbegriffen erklären lassen, ebenso sind neue globale Wirtschaftskonflikte, Kulturkämpfe und Kriege zu beobachten, die nicht mehr in den bisherigen Begriffen der Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik beschrieben werden können. Zwar nimmt die seit Anfang der 90er Jahre (ungefähr zeitgleich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion) geführte sogenannte Globalisierungsdebatte eine ganze Reihe neuer Phänomene wahr, die jedoch durch das alte kategoriale Raster gefiltert werden, weil kein anderes begriffliches Bezugssystem zur Verfügung steht. So stellt man einerseits einen Bedeutungsverlust der Politik und einen Souveränitätsschwund der Staaten fest, drückt diese empirischen Erscheinungen andererseits gleichwohl immer noch in herkömmlichen Begriffen der Politik und der staatlichen Beziehungen aus. Damit hängt zusammen, dass eine Orientierung, soweit sie überhaupt noch versucht wird, vornehmlich rückwärtsgewandt ist, nämlich als Hoffnung auf und Konzeptheckerei für irgendeine "Wiedergewinnung des Politischen"; und auch deswegen erweist sich die Sichtweise des Neuen als phänomenologisch beschränkt, während der Begriffsapparat der alte bleibt und krampfhaft festgehalten wird. Das zeigt sich nicht zuletzt auf der Ebene der internationalen oder zwischenstaatlichen Verhältnisse, wenn ebenso vollmundig wie unangemessen von einer "Weltinnenpolitik" die Rede ist. Diese besonders in grün-sozialdemokratischen Kreisen beliebte und besinnungslos heruntergebetete Phrase beweist ganz unmittelbar, dass hier eine bloße Projektion alter bürgerlicher Begriffe auf eine unverstandene neue Entwicklung stattfindet. Dabei drängt sich die Parallele zur Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft auf. Auch in dieser Hinsicht wird ständig das Neue der Erscheinungen betont, während die Arbeitskategorie selber als stummes A priori geradezu tabuisiert bleibt und sämtliche Konzepte oder gar Heilsbotschaften auf die Erhaltung dieser Kategorie in irgendeiner Form und nahezu um jeden Preis hinauslaufen. Die Analogie in der Vorgehensweise verweist auf den inneren Zusammenhang der beiden Komplexe: Die Krise der Weltarbeit und die Krise der Weltpolitik stellen nur verschiedene Aspekte ein und desselben weltgesellschaftlichen Prozesses dar. Solange der Kalte Krieg als Systemkonflikt zwischen zwei ungleichzeitigen Erscheinungsformen bzw. Entwicklungsstufen des modernen warenproduzierenden Systems tobte, überlagerte er ein tiefer liegendes Problem, das auf diese Weise verborgen blieb. Unter der Oberfläche des Kalten Krieges bildete sich eine globale prozessierende Krisenstruktur aus, die mit dem Zusammenbruch des Staatskapitalismus schlagartig ans Licht trat, jedoch unter dem Eindruck der Nachkriegsgeschichte nur ideologisch verzerrt wahrgenommen werden konnte. Was als "Sieg" des westlichen Kapitalismus erschien, entpuppte sich im Verlauf der 90er Jahre als irreversibler sozialökonomischer Zusammenbruch zunächst von großen Teilen der Peripherie des Weltmarkts. Im Zentrum dieses Krisenprozesses steht das Abschmelzen der reellen (real Wert bildenden) kapitalistischen Arbeitssubstanz durch die dritte industrielle Revolution, die zunehmende "Ausbeutungsunfähigkeit" des Kapitals aufgrund seiner eigenen technologischen Produktivitätsstandards und damit die Entsubstantialisierung des Geldes (Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realökonomie). Diese innere Logik der Krise wirkt sich jedoch nicht nur als Strukturbruch auf der Ebene der Weltmarktbeziehungen aus (Globalisie
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Autorenportrait
Robert Kurz, geboren 1943, studierte Philosophie, Geschichte und Pädagogik. Er arbeitet heute als freier Publizist, Autor und Journalist. Robert Kurz ist Mitbegründer und Redakteur der Theoriezeitschrift "Krisis - Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft". Seine Arbeitsgebiete umfassen die Modernisierungs- und Krisentheorie, die kritische Analyse des kapitalistischen Weltsystems, die Kritik der Aufklärung und das Verhältnis von Kultur und Ökonomie. Er veröffentlicht regelmäßig Aufsätze in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sein Buch "Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie" löste sofort eine große Kontroverse aus: "Von brennender Aktualität. die meistdiskutierte Neuerscheinung" (Frankfurter Rundschau); "Eine aufregende Analyse des Weltwirtschaftssystems im letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende" (Süddeutsche Zeitung); "Kurz' Buch ist ein wirtschafts-philosophischer Thriller" (Capital). Buchveröffentlichungen u.a.: Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie (1991). Honeckers Rache. Zur politischen Ökonomie der deutschen Vereinigung (1991). Der letzte macht das Licht aus. Zur Krise von Demokratie und Marktwirtschaft (1993). Die Schmerzgrenze der Marktwirtschaft (1997). Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft (1999). Feierabend zwölf Attacken gegen die Arbeit (2000).