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Was dich spaltet

Roman

Erschienen am 27.02.2023
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783887473983
Sprache: Deutsch
Umfang: 216 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 22 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Warum bilden ausgerechnet Geschwisterbeziehungen den Schauplatz für Dramen, die eher zu den Eltern gehören als zu ihnen? Das fragt sich Kati, als zwischen ihr und ihrer jüngeren Schwester Eva aus kleinstem Anlass der Graben alten Schweigens wieder aufreißt. Zwar ist Eva mit Kati eng verbunden, aber sie steht anders zu den gemeinsamen Eltern. Dass Kati seit längerem der traumatischen, mit Krieg und Flucht verbundenen Geschichte des verstorbenen Vaters nachforscht, scheint den Graben eher zu vertiefen: Wer ist woran schuld? Und - geht es überhaupt um 'Schuld'? Kann es in Familien unbelastete Nähe geben? Gibt es einen Weg aus dieser Blockade? Der Roman erzählt in prägnanter, empathischer Sprache ein Jahr in einer Familie, in die Geschichten aus vier Generationen hineinwirken.

Autorenportrait

Bernadette Conrad arbeitete lange vom Bodensee, von Italien und den USA aus als Literatur- und Reisejournalistin u.a. für die ZEIT, die NZZ, die Berliner Zeitung, das Schweizer Radio, bevor sie mit ihrer Tochter nach Berlin zog. Für ihre Sachbücher zu literarischen und gesellschaftlichen Themen (u.a. 'Die vielen Leben der Paula Fox') wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 'Was dich spaltet', gefördert mit dem Berliner Autorenstipendium, ist ihr erster Roman.

Leseprobe

Leben Eltern ewig? Es war nur ein Traum, Kati. Sie setzte sich im Bett auf. Ihr Vater hatte dagesessen wie im Leben, mit dem Rücken zu ihr. Sie selbst im altbekannten Alarmzustand, rätselnd, welche explosive Stimmung sich in seiner Abgewandtheit verbergen mochte. Aber wie konnte das sein? Er war seit fast fünfundzwanzig Jahren tot. Dann hatte er sich umgedreht, ihr knapp und distanziert zugenickt, die Augen kaum zu erkennen hinter den dicken getönten Brillengläsern -, und sie hatte es genauso gemacht: genickt, ein knapper, distanzierter Gruß. Etwas in ihr zittert, ein Nachbeben von weit her; eines, das nur noch im Traum bis zu ihr gelangen kann. Aber wieso überhaupt? Nach all der Zeit. Draußen schlägt Frühling ans Fenster. Nach den eisigen Tagen mit Schnee und Frost ist es plötzlich so warm geworden, dass sie gestern beim Heimkommen den Mantel aufgeknöpft hat. Kati atmet ein, aus , sie fühlt den Luftzug, sie hört den Vögeln zu und denkt: Verrückt, dass ihr nicht aufgebt. Ihr besingt den Frühling. Ihr singt die Autos nieder, die, jedes einzeln und laut übers Kopfsteinpflaster rattern. Singt über den Krach der Berliner Stadtreinigung hinweg, die da unten gerade unterwegs ist. Sie schloss die Augen noch einmal, nein, nicht zurück in den Traum. Aber die Kinder hatten Ferien, Ellie war schon aufgestanden, sie hatte sie rumoren hören, und Meerchen war bei Eva , sie konnte noch liegenbleiben. Man konnte kurz alles vergessen, den Baulärm, die nahe Autobahn. Den Traum langsam von sich wegrücken. Man konnte die Augen geschlossen halten, die Beine unter der Decke strecken, den Wind fühlen und sich an die Vögel halten. Als sie in die Küche ging und Teewasser aufsetzte, wunderte sie sich. Wieso war es auch in Ellies Zimmer so still? Normalerweise drang Musik heraus, ein sicheres Zeichen ihrer Anwesenheit. So früh, und ohne Bescheid zu sagen? Andererseits musste eine Fünfzehnjährige nicht auf Schritt und Tritt kontrolliert werden. Kati wartete neben dem Wasserkocher und schaute aus dem Fenster. Dann eben nicht. Dann würde sie sich gleich mit dem Tee an den Computer setzen. Im Zimmer, am Schreibtisch, fiel es ihr ein. Ende April. Jahrestag. Ein kühler Apriltag vor heute genau 26 Jahren, und sie steht wieder dort. Die Hände fest um die heiße Tasse geschlossen, sieht sie sich stehen, im großen Flur des Elternhauses -, sich selbst, Vater, Mutter, und Diana, ihre beste Freundin, die mitgekommen war. Sie sieht an der Wand die zartbeige Textiltapete, die Bilder mit Landschaften und Blumenstilleben; sie sieht die dünnen Sichtschutzgardinen vor dem oberen Galeriefenster sich blähen im Luftzug der sich öffnenden und schließenden Tür. Auf. Zu. Auf. Keine fünf Minuten waren sie im Wohnzimmer sitzen geblieben, kaum dass Kati gesagt hatte, weshalb sie gekommen war. 'Raus, raus, raus, du Kriegstreiberin', hatte der Vater mehr gezischt als gebrüllt, und Diana und sie vor sich hergeschoben zur Tür. 'Nein, nicht gehen!', hatte die Mutter gerufen, weinend, und sich gegen die Tür gelehnt. 'Du Wahrheitsfanatikerin, das ist alles erlogen, ausgedacht, was fällt dir ein', lauter die Stimme des Vaters. Damals hatte die Erde gezittert, sie hätte auch reißen können, dann wäre sie, Kati, in ein Bodenlos gefallen, das sie schon vorher, auf der Autofahrt hin zu den Eltern erwartet hatte, angstverkrümmt, zusammengefaltet auf Paketgröße, in den Fußraum des Beifahrersitzes gekauert, schlotternd - während Diana stoisch den Wagen steuerte, ' du schaffst das, Kati'. Im Fußraum des Beifahrersitzes? Sie war auch damals schon erwachsen gewesen, Mitte zwanzig, und hatte mit Sicherheit nicht in den Fußraum eines Autos gepasst. Aber so war Erinnerung, sie schuf ein Bild für die Angst, aus der sie in diesen Stunden bestanden hatte, ohne Rest. Danach, als es vorbei war, sie beide auf die Straße gewankt waren, sich in Dianas Auto gesetzt und Diana den Motor angelassen hatte, erst dann hatte sie wild zu schluchzen begonnen und die ganze Fahrt bis zu Diana nachhause damit nicht aufhören können. Wie konnte man so sein Elternhaus verlassen!? Wie konnte man nur! Tee getrunken. Balkontür geschlossen. Durchgeatmet. Sie sollte die Zeit nutzen, zum Arbeiten, bevor Meerchen, ihre Kleine, zurück wäre. In drei Tagen würde Eva sie bringen. Eva, Schwesterherz - und wieder starrte Kati Löcher in die Luft. Es hielt sie nicht auf dem Stuhl, sie öffnete die Balkontür noch einmal, lehnte sich in die Tür, sah im Glas ihr eigenes Spiegelbild. Schmale Schultern, wie meist etwas nach vorne gebeugt, wilde braune Locken, braune Augen, die ihr aus dem Spiegel immer ernster entgegenschauten als sie sich selbst empfand. Dieser heutige Arbeitstag wollte nicht beginnen. Wo genau warst du eigentlich damals gewesen, Eva? Und wo genau stehst du heute? Kati schloss die Balkontür, setzte sich, startete den Computer. Auch das, was sie hier tat, fand Eva abwegig; die Beschäftigung ihrer großen Schwester mit dem Erleben junger Soldaten, Katis Sammeln von Zeugenberichten, Feldpostbriefen, Tagebucheinträgen, ihre Suche nach den Stimmen derer, die jung den Zweiten Weltkrieg an der Front erlebt, und ihn überlebt hatten. 'Unser Vater war einer von ihnen, Eva', hatte Kati hie und da Evas Unverständnis, ihrer fast ungeduldigen Abwehr, entgegengehalten; dein geliebter Papa. Das dachte sie nur, sagte sie nicht. Aber Eva winkte ab, schüttelte den Kopf, wollte sich nicht einlassen auf Gespräche über jene Zeit, die, wie sie sagte, doch 'ewig her' war. 'Ist denn in den letzten siebzig Jahren nicht genug über den Krieg geschrieben worden, Kati?', hatte sie letztes Mal gefragt. Glaubte Kati tatsächlich, dass sie, so dermaßen lange danach, noch etwas hinzuzufügen hätte? 'Drei Jahre beschäftigst du dich jetzt schon mit dieser Materie, richtig?', hatte sie noch gesagt, mit gerunzelter Stirn. 'Bist du denn da nicht völlig von deinen eigentlichen Themen weg? Hast du ein neues Buchprojekt? Verschenkst du nicht kostbare Zeit?' Vielleicht, Eva. Vielleicht auch nicht. Aber war das wichtig? Eva war, wie sie war; ihre wunderbare kleine Schwester, die nie ohne Arme voller Geschenke zu Ellie und Meerchen kam; strahlend, die einen mitreißen konnte mit ihrer Frische und Fröhlichkeit; Eva, der sie vertraute Mails schrieb, so, wie das eben gehen kann zwischen Schwestern. Drei Jahre, genau. Geahnt hatte Kati es schon dort, in der Küche des alten Mannes in Vermont: dass hier noch etwas für sie zu tun wäre. Sie hatte damals schon geahnt, dass hinter dem fremden alten Mann in Vermont jemand anderes wartete. Sie starrte am Computer vorbei aus dem Fenster. Das mit dem Krieg, Vater, es hört nicht auf, mich zu beschäftigen. Wie alles zusammenhängt. Wie eins mit dem anderen zusammenhängt. Fast fünfundzwanzig Jahre bist du tot und ich habe es versäumt, dich zu fragen. Zu spät, sagt man immer, Gelegenheit verpasst. Aber stimmt das? Hätte ich dich gefragt, würde ich dich fragen, wenn du noch am Leben wärest? Es gibt Gründe, warum man mit jemandem ins Gespräch geht. Oder warum man es nicht tut. Wer wärest du heute, ein verbitterter alter Mann? Jemand, der nochmal eine Kehrtwende gemacht, Dinge neu angeschaut hätte? Du bist nicht mehr da, und in diesem leeren Raum - ja, was? Haben wenigstens die Fragen Platz? Zwei Stunden aus dem Fenster gestarrt, Tee gekocht, Zigarette geraucht. Es war Mittag geworden. Sie machte sich etwas zu essen, als das Handy eine Nachricht ankündigte. Ellie. 'Liebe Mama, ich bin bei Papa vorbeigegangen. Bitte keine Sorgen machen. Hab dich lieb, Ellie'. Bei Papa vorbeigegangen? Jetzt kam es ihr in den Sinn. Karl war für ein paar Monate in Berlin, es hatte sich beim Sender die Möglichkeit einer Vertretung ergeben, die er genutzt hatte. Natürlich. Ellie hatte davon erzählt, einmal. Und vermutlich hatte es sie getroffen, gekränkt, dass sie, Kati, nie nachgefragt, sich offensichtlich nicht besonders dafür interessiert hatte. Wieso sollte eine Fünfzehnjährige nicht ihren Vater aufsuchen? War ...