Beschreibung
"Aus dem bairischen Walde" ist Stifters letzte vollendete Arbeit. Sie entstand im November 1867, zwei Monate vor seinem Tod. Dem episch geschilderten "erhabenen Wald" stellt Stifter dramatisch das "weiße Ungeheuer", einen gewaltigen, nicht endenden Schneesturm gegenüber, den er im Spätherbst in Lackenhäuser erlebte.Die Erzählung erschien posthum im Todesjahr des Dichters 1868. Der Erstdruck enhält mehrere Eingriffe des Redakteurs und zahlreiche, auch sinnstörende Druckfehler. Grundlage für diese Neuausgabe ist deshalb Stifters Original-Manuskript von 1867. Stifters Orthographie wurde heutigem Gebrauch behutsam angeglichen, doch blieben die von ihm verwendeten altertümlichen Formen und Namen sowie seine eingenwillige, als rhythmisches Stilmittel eingesetzte Interpunktion gewahrt.Die kenntnisreichen Anmerkungen des Herausgebers Paul Praxl verknüpfen die Erzählung mit den realen Personen, Orten und Ereignissen. Aus der Perspektive des Dichters und aus heutiger Wahrnehmung kann der Leser nachempfinden und nacherleben, wie Adalbert Stifter "Aus dem bairischen Walde" der Schneekatastrophe entkommen und nach Linz zurückgereist ist.
Leseprobe
InhaltZum Text 4Zu den Bildern 5Aus dem bairischen Walde 8Erläuterungen 51Nachwort 70Literaturhinweise 79Zum TextAdalbert Stifters Erzählung "Aus dem bairischen Walde" erschien posthum im Todesjahr des Dichters1868 im 3. Jahrgang der im fernen Aachen herausgegebenen, von Leo van Heemstede redigiertenZeitschrift "Die katholische Welt. Friedliche Blätter für Unterhaltung, Belehrung und öffentliches Leben mit Bildern", Seite 122 "127, 130 "135 und 137, jeweils unterbrochen von Holzschnitt-Illustrationen, die nicht zu Stifters Text gehören. Dieser Erstdruck enthält mehrere Eingriffe des Redakteurs und zahlreiche, auchsinnstörende Druckfehler (z.B. Benitenberg statt Breitenberg, Drehungen statt Dachungen, Felsrandestatt Feldrande, Sommertagen statt Sonnentagen, Mittwochs statt Mittags usw.). Diese Fehlersind nicht zuletzt durch Stifters vielfach geänderte und dadurch teilweise sehr schwer entzifferbareHandschrift verursacht worden, die der Dichter dem Setzer zumutete, weil ihm die Zeit für eineReinschrift fehlte.Textgrundlage für unsere vorliegende Neuausgabe konnte deshalb nicht der Erstdruck, sondernmußte Stifters Original-Manuskript von 1867 sein, das sich im Adalbert-Stifter-Archiv in der Handschriftensammlung der Tschechischen Staatsbibliothek in Prag (Inventar-Nr. 241) befindet. Im Jahr1968 überließ mir der damalige Betreuer des Adalbert-Stifter-Archivs in Prag, der tschechische Ger-manist und Stifter-Forscher Dr. phil., Dr. sc. Alois Hofman, gute Fotoaufnahmen der neun engbeschriebenen Großquartblätter (Seiten 1 bis 17) für die im 100. Todesjahr Stifters von mir in der Staatlichen Bibliothek Passau gestaltete Ausstellung "Adalbert Stifter und die Entdeckung des Böhmer- und Bayerwaldes" (Katalog, Passau 1968, 44 Seiten mit Abbildungen). Eine damals mit Erlaubnis Dr. Hofmans geplante Neuausgabeder Erzählung aufgrund der Handschrift kam dann aber leider nicht zustande. Sie wird jetzt,im 200. Geburtsjahr des Dichters, vorgelegt.Dabei ist die von Gustav Wilhelm veranstaltete und kommentierte Ausgabe im 15. Band derSämtlichen Werke Adalbert Stifters, Reichenberg 1935, Seite 321 " 353, obwohl auch sie nichtfehlerfrei ist, dankbar zu Rate gezogen worden.Stifters Orthographie wurde heutigem Gebrauch behutsam angeglichen, doch blieben die von ihmverwendeten altertümlichen Formen (z.B. kömmt, Fernröhren, Bauerhöfe), dann die Namen (Lakerhäuser,Blökenstein) sowie seine eigenwillige, als rhythmisches Stilmittel eingesetzte Interpunktiongewahrt.Die beiden Faksimiles auf den Seiten 22 und 24 sind nach der vorerwähnten Handschrift Seite 1und 9 reproduziert.Zu den BildernDas Eingangsbild ist die Wiedergabe eines der letzten Fotos von Stifter, aufgenommen von einem unsunbekannten Fotografen in Linz im Sommer 1867, wenige Monate vor Niederschrift der Erzählung"Aus dem bairischen Walde", ein halbes Jahr vor des Dichters Tod. Es zeigt den von der schwerenKrankheit bereits Gezeichneten. Die Bildvorlage verdanken wir dem Adalbert-Stifter-Institut desLandes Oberösterreich in Linz. Es handelt sich dabei um eine 1942 angefertigte Reproduktioneines Großfotos, das Adalbert Stifter bei seinem letzten Besuch in seiner Heimat OberplanEnde Oktober 1867 seinem Bruder Johann gab und das später aus dem Besitz der Familiein das Böhmerwaldmuseum in Oberplan gelangte.Das Bild vom Rosenbergergut ist die Wiedergabe einer erstmals in der Unterhaltungs-Beilageder Münchner Neuesten Nachrichten, 4. Jahrgang, Nr. 34 vom 14. Oktober 1931, erschienenen Strichätzungnach einer heute verschollenen Zeichnung von Adolf Stois in München aus dem selben Jahr.Vorlage dafür war angeblich das im Besitz der Familie Rosenberger in Passau gewesene, ihr 1867von Adalbert Stifter geschenkte kleine Ölbild des Rosenbergergutes, an dem er lange gearbeitethatte, das aber, wie mir Ludwig Rosenberger in München, der Enkel von Stifters Freund FranzXaver Rosenberger, im Jahr 1968 mitteilte, als "verpatzt" galt und deshalb von der Familie nichtbesonders geachtet wurde. Nach Franz Xaver Rosenbergers Tod l den bairischen Wald an den Fuß des Dreisesselberges5)gehen. Er billigte es. Am 8. Juni6)kamen wir auf der Bahn von Eger über Regensburgin Passau an. Unsere Magd Marie7) kam mitdem Dampfboote an demselben Tage von Linznach Passau. Es war verabredet, daß meine Gattinvon Passau nach Linz gehen solle, weil sie in derWohnung manches zu schlichten und zu ordnenhatte, ich aber möge mich sogleich in den Waldbegeben. Später wolle sie zu mir kommen. Am 9.Juni fuhr sie mit Marie auf der Donau nach Linz.Nie hatte ich bei einer Trennung eine so bängliche9Ahnung, sie könnte krank werden, als damals, undich band sie der trefflichen Marie, wie man sagt,auf die Seele. Des frühen Morgens8) am andernTage saß ich mit Katharina in einem Wagen, undfuhr von Passau mitternachtswärts9) dem Waldezu. Auf der Straße von Passau über Freiungnach Böhmen gelangt man in etwas weniger alsdrei Stunden in den Ort Fendelsberg10), der auszerstreuten Häusern besteht. An der Straße stehteinzeln ein stattliches Wirtshaus11). Dort ließ ichgewöhnlich die Pferde zwei Stunden rasten, undnahm mein Mittagsmahl ein. So taten wir auchjetzt. Wenn man von dem Gasthause auf einemRaine zwischen den Feldern in der Richtunggegen den Morgen12) dahin geht, sieht man fernezu seiner Linken das ungeheure, bläulich schimmerndeBand des Waldes, der in einer so langenLinie zwischen Baiern und Böhmen dahin geht.Der Wald hat als Merkmal viele langgedehnteweithingehende sanft gewölbte Kissen, die seineHöhen sind. Eines dieser Kissen ist der Dreisesselwald,oder, wie die Leute kurzweg sagen, derSesselwald. Er liegt von Fendelsberg ziemlichgegen Morgen, und war noch vor mehreren Jahrendadurch unter allen seinen Genossen ausgezeichnet,daß auf seinem zarten Rande etwas schwebte,wie ein Würfel. Dieser Würfel aber ist seit einigenJahren nicht mehr zu sehen. Die Ursache werdeich später angeben. Wir gingen auch heute wiederauf dem Raine hin, und zeigten uns wechselseitig10bekannte Höhen des Waldes. Mit dem Fernrohrefanden wir manche befreundete Stellen.Nach dem Mittagsmahle trennten wir uns vonder Hauptstraße, und fuhren auf einer Nebenstraße13)mehr morgenwärts unserm Ziele zu, daswir gegen den Abend erreichten.Mittagwärts14) von den drei Sesseln und demBlökensteine liegt eine Ortschaft, welche denNamen Lakerhäuser führt. Die Lakerhäuser aberliegen nicht bei einander, sondern auf einem sehrgroßen Raum zerstreut. Wie der Wald lange weichepolsterartige Erhöhungen oder sanfte Dachungenvon sich hinab schiebt, auf denen entwederwieder Wald, oder zerstückte Wäldchen, oderhelle Matten oder grünende Felder sind, so stehenauf solchen Matten oder an einem Wäldchen oderauf einem Hange die Häuser. Sie sind meist ausHolz, und haben ein flaches Dach, auf welchemgroße Steine liegen. Manches hat ein Stückchenweiße Mauer. Sie sind also eigentliche Waldhäuser,wie man sie unter vielerlei Namen auf denSchwellungen und Dachungen an dem Waldelängs seiner ganzen Ausdehnung bis gegen Egerhin findet. Die Lakerhäuser haben eine kleineSchule15), aber keine Kirche. Ihre Pfarrkirchesteht mittagwärts eine Stunde von ihrer Mitteentfernt auf der halben Höhe eines langen Berges,und heißt Breitenberg16). Eines der Lakerhäuser,fast das nördlichste, macht von allen übrigeneine Ausnahme. Es ist ein fast schloßähnliches11Gebäude aus einem Haupthause und einem Seitenflügelbestehend. Es hat ein Stockwerk undnoch Dachzimmer. Mathias Rosenberger17), derdurch Handel wohlhabend geworden war, hat esgegen das Jahr 1818 erbaut. Er ist auch der Wohltäterund gewissermaßen der Vater der andernLakerhäuser geworden. Sein jüngster Sohn, FranzXaver Rosenberger18), erbte das Anwesen, dehnteseine Geschäfte noch mehr aus, und ward auch,wenn man so sagen darf, der Patriarch der Lakerhäuser.Er zierte seine Wohnung mit schönenmeist altertümlichen Geräten, einigen Bildernund wertvollen Büchern, und führte ein schönesMädchen aus einem achtbaren Bürgerhause Münchensals Gattin in seinen Wald, die jetzt die Muttermehrerer lieben Kinder ist. Unter dem altenRosenberger war das Haus auch ein Gasthaus.Franz baute ein eigenes stockhohes Gasthaus19)neben seinem Hau
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