Beschreibung
Der erste Roman über Tintoretto - Malergenie aus Venedig und Mensch der Renaissance Tintoretto, der geniale venezianische Maler der Renaissance, legt auf dem Sterbebett Gott Rechenschaft ab über sein Leben - als Mensch, als Sünder, als Künstler, der alles und jeden herausfordert, als Vater mit besonderer Nähe zur Tochter. 'Von Michelangelo die Zeichnung, von Tizian die Farbe', so lautete das Credo des Färbersohns Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, der sich in seinem Leben alles erkämpfen musste, weil er - anders als sein Rivale Tizian - niemals ein Liebling der Venezianer war. Und trotzdem hat er seine Heimatstadt künstlerisch geprägt wie kaum ein anderer. Ungestüm und voll überbordender Schaffenskraft tritt er dem Leser aus dem Roman entgegen. Tintoretto berauschte sich daran, mit den Traditionen zu brechen und sich selbst immer neu zu erschaffen, für ihn war Malen wie Träumen. Sein unbändiges Streben nach Freiheit in der Kunst teilte er mit seiner Tochter Marietta, der ersten Künstlerin der Renaissance. Sie war das uneheliche Kind mit seiner großen Liebe Cornelia, einer deutschen Hure. Mit ungeheurem Einfühlungsvermögen und reich an bestens recherchierten Details erzählt Melania G. Mazzucco die dramatische Geschichte dieses Malergenies des 16. Jahrhunderts. Es ist nicht zuletzt die Art, wie die Autorin diese außergewöhnliche Geschichte von Vater und Tochter erzählt und in den Mittelpunkt von Tintorettos Lebensbeichte stellt, die diesen Roman zu einem ganz besonderen Leseereignis werden lässt.
Leseprobe
Es ist dunkel geworden. Der Vorhänge sind zugezogen, jemand muss die Kerzen angesteckt haben, da es nach Wachs und Rauch riecht, bis zu mir gelangt jedoch nicht der kleinste Schimmer. Die Finsternis hat meinen Leib verschlungen, ich weiß, dass ich liege, aber ich finde nicht zu mir, ich fühle meine Hand, doch ich spüre sie nicht. Ich bin verloren. Solltest du hier irgendwo sein, ich sehe dich nicht. Jemand hält sich zwar im Zimmer auf, ich kann seine Bewegungen wahrnehmen, selbst die Schwingungen seiner Seele - doch ich weiß, du bist es nicht. Hörst du mich? Du bist es, an den ich mich wende. Ich rief nach dir, und nun rufe ich dich wieder. Komm her, ich will nicht nur mit mir selbst reden. Ich kann nicht schlafen. Vierzehn Tage ist es her, dass mich der Schlaf das letzte Mal mitgenommen und in das Land geführt hat, in dem alles Verlorene gegenwärtig, alles Zukünftige schon geschehen ist. Erst habe ich aufgehört zu träumen, ich fiel in meine Nächte wie ein Stein in einen Brunnen ohne Grund - dann habe ich aufgehört zu schlafen. Alles Erlebte flackert in der Dunkelheit auf. Und dennoch starre ich in eine entsetzliche Leere, in die alles hineingesogen wird. Alles erlischt - nur ich liege hier gefesselt, allein mit den Erinnerungen, die nur ich kenne und mitnehmen werde. Es heißt, die Medikamente seien wirkungslos geblieben und die Aderlässe hätten mir die letzte Kraft geraubt. Die Kräuter konnten die quälenden Schmerzen in meinem Magen nicht lindern, das Fieber ist gestiegen und der Schlaf nicht zurückgekehrt. Der Priester muss noch in der Nähe sein. Weihrauch vermischt sich mit dem Duft von Kiefernharz, Aloe und Myrrhe, das in den Fackeln verbrennt. Nun ist es spät, mit niemandem werde ich mehr sprechen, außer mit dir. Da du mir nicht die Zeit gelassen hast zu sagen, was ich sagen muss, werde ich dir diese Zeit stehlen. Bevor alles wie Asche verweht, werde ich dir all meine Sünden aufzählen, und du wirst überrascht sein, wie viele ich begangen habe. Ich meine aber nicht jene, die du dir vorstellst. O ja, ich bin arrogant gewesen, überheblich, ungestüm, ein Lügner, fanatisch, ungerecht, unredlich, voller Neid. Ich war unmoralisch, sinnlich, verzweifelt. Ich kenne die erhebende Banalität des Fleisches wie auch die beschwerliche Schönheit des Geistes. Ich werde von Eitelkeit erzählen, von Ehrgeiz und Selbstsucht, von Versuchung, Verrohung und Groll. Doch meine schwerste Sünde ist eine andere. Ich erhebe keinen Anspruch, verstanden zu werden, ein jeder von uns ist ein Rätsel. Das Geheimnis meiner Taten, meiner Laster und Tugenden behalte ich für mich. Ich will mich weder rechtfertigen noch losgesprochen werden - dies wäre unmöglich, denn gelebt zu haben ist bereits eine unverzeihliche Sünde. Ich möchte mich lediglich erinnern - und durch die Erinnerung leben und wieder lebendig werden. Ich werde dir nichts verschweigen - wie ich auch mir nichts verschweigen werde. Das Recht, über mich zu richten, hast du immer schon gehabt. Ich habe an dich geglaubt. Ich habe mich sowohl als verschwindend kleines Etwas als auch als dein Ebenbild verstanden, als winziges, bedeutungsloses und gemeines Staubkörnchen sowie als freier Herr des Universums. Ich habe deine Gaben empfangen und dir meine dargeboten. Du weißt, was ich dafür erbeten habe. Ich habe mich an unsere Abmachung gehalten, du hast sie nicht erfüllt. Und noch vermag ich nicht zu beurteilen, ob dein Schweigen Zeugnis deines Verrats oder deiner Anteilnahme ist. Hilf mir, Klarheit zu schaffen, denn alles ist so verworren - es herrscht keine Ordnung mehr in diesem Getümmel. Alles Wichtige erscheint mir unwesentlich, alles Unwesentliche bedeutungsvoll. Die Erinnerungen geraten durcheinander, weil mein Gedächtnis so arbeitet, wie ich es einst getan habe. Es stampft, rattert und berichtigt unentwegt, erfindet, verbessert, sodass ich nicht mehr weiß, was ich tatsächlich getan und was ich hätte tun sollen, was mir gesagt und was verschwiegen wurde, was gewesen ist und was nie ges