Beschreibung
Ähnlich wie früher von der Religion werden die Bürgerinnen heute von der Medizin gelenkt. Die Medizin avanciert zur Grundlage der Politik im Ausnahmezustand, denn sie nimmt auf Menschenrechte, auf individuelle Mündigkeit und Lebenskunst keine Rücksicht. Die Ethik der individuellen Verantwortung transformiert sich in Gehorsam, denn die Medizin erhebt das nackte Leben zum höchsten ethischen Gut. Dabei entfaltet sie ihre Macht durch eine apokalyptische Pädagogik und Methoden der Furchterzeugung, die gleich der Religion eine lange machiavellistische Tradition in der Politik hat. Der auf diese Weise lenkbar gemachte Mensch lässt sich das nackte Leben als höchstes Gut verkaufen und verzichtet auf seine Freiheit, die - nicht nur für Hannah Arendt - lange Zeit der Sinn der Politik war. An die Stelle der Schmitt'schen Freund-Feind-Unterscheidung tritt die medizinische von Leben und Tod. Demokratie lässt sich derart von Diktatur kaum noch unterscheiden, ihr Ziel ist es nicht mehr, Menschen- oder Minderheitenrechte zu schützen, sondern das nackte Leben. Ob die Lebenskünstlerin untergeht oder der Medizinisierung zu widerstreiten vermag, ist offen.
Autorenportrait
Hans-Martin Schönherr-Mann, 1952 geboren, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Neuere Geschichte. Er ist Professor für Politische Philosophie am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit Jahren regelmäßig Gastprofessor an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Weitere Gastprofessuren u. a. in Turin und Venedig. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, u. a.: Sartre - Philosophie als Lebensform und Miteinander leben lernen: Die Philosophie und der Kampf der Kulturen, Gesicht und Gerechtigkeit - Emmanuel Lévinas politische Verantwortungsethik und Dekonstruktion als Gerechtigkeit - Jaquces Derridas Staatsverständnis und politische Philosophie.
Schlagzeile
Die Medizinisierung der Welt und der Kampf der Lebenskünstlerin um Freiheit