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Eine Frage der Schuld

Roman - Mit der 'Kurzen Autobiographie der Gräfin S. A. Tolstaja', Manesse Bibliothek der Weltliteratur

Erschienen am 15.09.2008
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783717521501
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S.
Format (T/L/B): 1.6 x 15.5 x 9.7 cm
Einband: Leinen

Beschreibung

Bewegende Geschichte einer jungen Frau in einer tragisch scheiternden Ehe Wessen Schuld ist es, wenn aus Liebe Lieblosigkeit wird, aus Leidenschaft Wahn, aus Begehren Überdruss? - Sofja Tolstajas Roman zeichnet das differenzierte Porträt eines mehr und mehr sich entfremdenden Paares. Mit diesem überraschenden Fund, hier in deutscher Erstübersetzung, tritt die Autorin aus dem Schatten ihres weltberühmten Ehemannes.Dass hochbegabte Frauen im Schatten hochbegabter Männer stehen, ist nichts Außergewöhnliches. Dem Angebeteten zuliebe leisten sie Verzicht, werden im besten Fall zu Musen, im schlechtesten zu Haushälterinnen. Dies ist auch das persönliche Schicksal der Sofja Tolstaja (1844-1919), nachzulesen in ihrer 'Kleinen Autobiographie' von 1913, die in diesem Band enthalten ist. Über Jahrzehnte hinweg war sie ihrem Mann, dem berühmten Tolstoi, treue Gefährtin, verständige Erstleserin und Kritikerin seiner Werke, Schreibkraft, 'Ehefrau im althergebrachten Sinne' (nach Tolstois eigenem Bekunden) und nicht zuletzt Mutter von dreizehn gemeinsamen Kindern. Niemand konnte ahnen, dass sich hinter der Frau an Tolstois Seite eine exzellente Schriftstellerin verbarg, hatte sie doch ihre erste Erzählung vor der Hochzeit verbrannt. Fünfundsiebzig Jahre nach Tolstajas Tod aber machte man in ihrem Nachlass einen Sensationsfund. 'Eine Frage der Schuld' handelt von der fatalen Entfremdung zwischen Eheleuten. Mit psychologischer und stilistischer Finesse schildert die Autorin, wie bohrende Eifersucht erst das Vertrauen zerstört und dann die beidseitige Achtung. Im Gegensatz zur frauen- und lustfeindlichen 'Kreutzersonate' Tolstois, als dessen Gegenstück Tolstajas kleiner feiner Roman angelegt ist, erfahren hier beide Seiten Gerechtigkeit. Mit 'Eine Frage der Schuld' ist eine Autorin zu entdecken, die fortan einen eigenen Rang und Namen in der Weltliteratur beanspruchen kann.

Autorenportrait

Sofja Andrejewna Tolstaja (1844-1919) wuchs in Moskau als Tochter eines Arztes auf. Sie legte den höchsten Bildungsabschluss ab, der ihr möglich war, als den Frauen in Russland das Universitätsstudium noch nicht gestattet war - das Hauslehrerinnenexamen. Im Alter von achtzehn Jahren heiratete sie den wesentlich älteren, bereits bekannten Schriftsteller Lew Tolstoi. Vor ihrer Hochzeit hatte sie selbst geschrieben, nun aber gab sie alle eigenen literarischen Ambitionen auf und widmete sich ganz der Kunst ihres Mannes. Unermüdlich übertrug sie die oftmals fast unentzifferbaren, mit unzähligen Korrekturen übersäten Manuskripte Tolstois in Reinschrift. Den größten Teil ihres Ehelebens verbrachten die Tolstois auf ihrem Landgut Jasnaja Poljana. Sie hatten dreizehn Kinder; fünf von ihnen starben jedoch, bevor sie das Schulalter erreichten. Sofja Tolstaja führte ihr Leben lang Tagebuch, aber erst spät begann sie wieder, literarische Texte zu verfassen. Ihren ersten Roman 'Eine Frage der Schuld' schrieb sie 1893 als Antwort auf Tolstois 'Kreutzersonate'; er wurde fünfundsiebzig Jahre nach ihrem Tod erstmals in Russland veröffentlicht. Ihr zweiter Roman 'Lied ohne Worte', in dem sie den Tod ihres jüngsten Sohnes verarbeitet, entstand 1897-1900 und ist in Russland bis heute nicht veröffentlicht worden.

Leseprobe

Es war ein wundervoller, klarer, jubilierender Tag. Ein wahres Fest sommerlicher Blütezeit. Wie schön und heiter waren der lichte blaue Himmel, die heißen Sonnenstrahlen, die in den üppigen Bäumen und blühenden Büschen zahlreich lärmenden Vögel! Und wie herrlich spiegelte in der Ferne ein tiefer blauer See den Himmel und die farbenfrohe, saftige, reiche Flora seiner Ufer.Einen genauso festlichen, blühenden und heiteren Anblick boten die beiden Mädchen, die den Weg vom See zu dem großen weißen Steinhaus entlangliefen - barfuß, die Schuhe in den Händen, die nassen Handtücher über die Schultern geworfen, die Haare aufgelöst. Das Barfußlaufen nicht gewohnt, traten die ungebräunten kleinen Füße zaghaft und leicht, von der Berührung wie erschauernd, auf das taufeuchte Gras, und die Mädchen lachten laut.'Nicht, daß uns noch jemand sieht', sagte die eine.'Na und, muß uns das peinlich sein?' fragte die andere mit erstaunt geweiteten Augen. 'Die Bauersfrauen laufen doch alle barfuß.''Das stachelt aber, tut richtig weh.''Ist doch nicht schlimm, du mußt so laufen, leichtfüßig!'Das schwarzäugige zierliche Mädchen rannte so schnell los, daß es völlig außer Atem, rot und erregt auf der Terrasse des Hauses ankam; um sich blickend, besann es sich plötzlich und blieb, schrecklich verlegen, wie angewurzelt stehen.'Was hast du, Anna?' fragte die Mutter streng und verwundert und betrachtete ihre verwirrte Tochter vom Kopf bis zu den Füßen.'Natascha und ich haben gebadet, und. und. wir haben ausprobiert, wie es sich barfuß läuft. Wir wußten nicht.', sagte Anna und suchte dabei ihre Füße zu verstecken.Sie warf einen schrägen Blick auf die ihr hingestreckte Hand, dann sah sie dem Besucher, der sich vom Teetisch erhoben hatte, in die Augen und reichte ihm mit einem schuldbewußten Lächeln die ihrige. 'Ich wußte nicht, daß Sie hier sind. Guten Tag, Fürst. Ich bin gleich wieder da.'Und schon war das Mädchen weg. Ohne innezuhalten, huschte auch das andere vorbei.Der Mann, der Anna die Hand hingestreckt hatte, war ein alter Bekannter ihrer Mutter, der etwa fünfunddreißigjährige Fürst Prosorski, der auf der Durchfahrt von seinem abgelegenen Gut hin und wieder bei den Ilmenews vorbeikam. Er kannte die Kinder von klein auf, mochte die schlichte, fröhliche Lebensart des ganzen Hauses und hatte sich bereits des öfteren am Anblick der heranwachsenden Mädchen erfreut.Als Anna und Natascha nacheinander ins Haus geschlüpft waren, lächelte er noch lange froh. Eine ganze Weile schon hatte er bei den Ilmenews keinen Besuch mehr gemacht, und wie es oft zu sein pflegt, in den Jahren, die er im Ausland verbracht hatte, war mit den Mädchen etwas vor sich gegangen. Sie hatten aufgehört, Mädchen zu sein, und waren unversehens ins Frauenalter eingetreten.Der Fürst fühlte das dunkel, ohne sich über irgend etwas Rechenschaft abzulegen, und wieder ging ihm das Bild der schlanken bloßen Beine, der dunklen aufgelösten Haare auf Annas zurückgeworfenem Kopf und ihre geschmeidige Gestalt unter dem weiten weißen Morgenkleid durch den Sinn.'Mein Gott, wie schön ist es hier!' sagte er, die Augen auf die Tür geheftet, hinter der die Mädchen verschwunden waren, und spürte in sich einen jugendlichen, belebenden geistigen Aufschwung. 'Wie froh, wie heiter! Ach, die Jugend!' fügte er seufzend hinzu. 'Dahingegangen ist unsere Jugend, Olga Pawlowna, aber sich an ihr zu ergötzen ist keinem benommen.''Nun, würde die Jugend ewig währen, dann wüßte man sie nicht zu schätzen. Meinen Sie, die Leute schenkten ihr Beachtung oder schätzten sie? Nicht im geringsten', urteilte Olga Pawlowna ruhig.Nachdem sie noch ein wenig mit dem Fürsten geplaudert hatte, entschuldigte sie sich mit der Bemerkung, nach dem Rechten sehen zu müssen, zum Frühstück würden sich jedoch alle versammeln.'Hier sind Zeitungen, Fürst, lesen Sie einstweilen, ein interessanter Artikel über die Zustände in Frankreich ist dabei.'Olga Pawlowna entfernte sich, während die beiden Schwestern bald wieder zur Stelle waren. In den dunkle Leseprobe

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