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Gewalt entsteht im Kopf

Erschienen am 09.02.2011, 1. Auflage 2011
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608946772
Sprache: Deutsch
Umfang: 171 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 20.6 x 12.5 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Die großen Mythen, Märchen und Erzählungen aller Kulturen - fast alle handeln von Gewalt. Gewalt kann aus Leidenschaft entstehen; oft hat sie mit Rache-, Schuld- oder Schamgefühlen zu tun. Der Autor erläutert anhand von Filmen - Batman, Uhrwerk Orange, Spiel mir das Lied vom Tod, Terminator, Krabat, Sleepers - und Falldarstellungen aus der eigenen Praxis, wie die psychischen Mechanismen der Gewalt funktionieren. Und welche Rolle Lebenserfahrung, psychische Disposition, soziale und situative Einflussfaktoren spielen.

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Autorenportrait

Michael Günter, Dr. med., Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Studium der Medizin, Kunstgeschichte und Empirischen Kulturwissenschaft in Tübingen und Wien, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und Lehranalytiker (DPV/IPA), Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Stuttgart, Leiter des Weiterbildungscurriculums Psychodynamische Psychotherapie der Universität Tübingen. Mitherausgeber der Zeitschrift Kinderanalyse. Michael Günter ist Mitherausgeber der Zeitschrift KINDERANALYSE.

Leseprobe

Gewalt - ein menschliches Grundproblem Wie kommen Menschen dazu, Gewalt auszuüben? Warum beschäftigen sie sich in ihrer Fantasie mit Gewalt? Was sind das für Menschen, die unvermittelt einen anderen einfach zu Tode treten? Warum findet jemand Freude daran, andere zu quälen, vielleicht sogar zu töten? Was lässt Menschen Spaß empfinden an sexueller Gewalt gegen Kinder, an einer Vergewaltigung? Wie ist so etwas überhaupt möglich? Handelt es sich bei diesen Menschen einfach nur um Monster, oder lassen sich selbst bei solch extremen Verhaltensweisen ein Motiv bzw. bestimmte seelische Voraussetzungen für die Gewalt ergründen? Wie Gewalt im Kopf, wie Fantasien über Gewalt entstehen, wie es dazu kommt, dass sie schließlich in die Ausübung von Gewalt münden - darum soll es in diesem Buch gehen. Dabei wird das komplizierte Zusammenwirken vorangehender, oft prägender Lebenserfahrungen, psychischer Dispositionen und sozialer und situativer Einflussfaktoren aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Der Leser wird in verständlicher Weise über das in menschlichen Gesellschaften allgegenwärtige Phänomen Gewalt aufgeklärt. Durch ein umfassenderes Verständnis des Problems und der psychischen Mechanismen, die Gewalt bedingen, soll er in die Lage versetzt werden, zu einer rationaleren Diskussion in der Öffentlichkeit beizutragen. Es besteht nämlich beim Thema Gewalt immer die Gefahr, dass es uns ebenso ängstigt wie fasziniert und wir emotional so ergriffen werden, dass vernünftige Überlegungen, wie der Gewalt zu begegnen sei, von Angst, Wutgefühlen, Rachebedürfnissen und Vergeltungswünschen über lagert werden. Trotz des schwierigen und komplexen Themas soll dieses Buch nicht trocken und zu theoretisch ausgerichtet, sondern interessant und spannend zu lesen sein und dem Leser auch mögliche praktische Anwendungen aufzeigen, wie Gewalt wirksam begrenzt werden kann. Diesem Ziel dient folgende Vorgehensweise: Zum einen werden die wichtigsten Gewaltmechanismen anhand populärer Filme dargestellt und erläutert. Zum zweiten illustrieren in den meisten Kapiteln Fallbeispiele aus der beruflichen Tätigkeit des Autors die diskutierten Probleme. Schließlich werden am Ende jedes   Kapitels die wichtigsten Überlegungen zusammengefasst und daraus Konsequenzen für den Umgang mit Gewalt abgeleitet: Wie kann das Verstehen der zugrundeliegenden Mechanismen zu einem wirksamen Begrenzen der Gewalt im Einzelfall führen? Und wie kann es vor allem konkrete und umsetzbare Hinweise auf notwendige Veränderungen in der gesellschaftlichen Diskussion und Praxis geben? Zunächst zu den Filmen: Sie ergreifen uns affektiv und lassen uns die Gefühle der dargestellten Protagonisten miterleben. Im Vergleich zu Werken aus der Literatur oder der bildenden Kunst und Fotografie entfalten sie eine besondere Wucht, indem sie Bild, Bewegung, Sprache und Musik kombinieren, sodass ein dichtes Gewebe von Sinneseindrücken entsteht, denen sich unsere Psyche oft kaum entziehen kann. In Filmen ist es außerdem möglich, unsere innere Welt der Fantasie, unsere Phantasmen, in sichtbarer Form in der Außenwelt abzubilden und uns für einen Moment fast vergessen zu lassen, dass sie nicht zur Realität geworden sind. Als Artefakte, vom Menschen gemacht, erlauben Filme eine Vereinfachung der Verhältnisse, und häufig arbeiten sie damit, dass die Protagonisten holzschnittartig in ihrer Psychologie in Szene gesetzt werden. Das mag zuweilen plump wirken, wenn es jedoch gut gemacht ist, werden die zugrundeliegenden psychischen Mechanismen umso schärfer und eindrucksvoller herausgearbeitet. Dies ist einer der Gründe, weswegen ich mich in meinen Überlegungen zu den psychischen Mechanismen der Gewalt vielfach auf sehr erfolgreiche Filme beziehe. Viele meiner Leser werden diese Filme kennen und können das, was ich erläutere, aus eigener Anschauung beurteilen. Filme sind trotz einer gigantischen Werbeindustrie, die die großen Kinoereignisse populär macht, nur dann erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, die Gefühle vieler Menschen anzusprechen. Dies setzt voraus, dass die über die Geschichten transportierten Affekte bei den Zuschauern bereitliegende Gefühle abrufen. Wenn es dem Drehbuchautor, dem Regisseur, den Schauspielern und den Kameraleuten gelingt, intuitiv etwas davon einzufangen und in Szene zu setzen, wie wir Menschen Gefühle erleben und verarbeiten, funktioniert der Film. Diese Korrespondenz zwischen dem intuitiven Erfassen seelischer Mechanismen, ihrer grandiosen Inszenierung im Film und der Resonanz im Zuschauer geschieht weitgehend jenseits rational gesteuerter Prozesse, also zu großen Teilen unbewusst. Der Erfolg eines Filmes sagt allerdings nicht unbedingt etwas über seine künstlerische Qualität aus. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Filme nur dann erfolgreich sind und von vielen Menschen gesehen werden, wenn sie auf irgendeiner Ebene Menschen in ihren seelischen Prozessen zu berühren und zu faszinieren vermögen. Filme eröffnen uns den Zugang zu einem 'Zwischenreich der Fantasie', wie Freud dies ausdrückte (1916 - 1917), bzw. einem Zwischenbereich zwischen innerer Erlebniswelt und realer äußerer Welt, einem 'intermediären Bereich', wie es der berühmte englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald W. Winnicott 1971 formulierte. Reinhart Lempp, der sich intensiv mit jugendlichen Gewalttätern beschäftigte, sprach 2003 in diesem Zusammenhang von der 'Nebenrealität'. Er wies darauf hin, dass wir alle, Kinder noch stärker als Erwachsene, zunehmend durch die Bildmedien der modernen Welt in unseren Nebenrealitäten geprägt werden. Diese Nebenrealitäten haben eine entlastende Funktion, da sie uns zeitweise von der Mühsal des Alltags befreien und unsere Abwehr gegen diffuse Ängste in einer zunehmend komplexeren Welt unterstützen. Sie können aber auch gefährlich werden, wenn sie übermächtig werden und die Hauptrealität zu verdrängen beginnen. Dies wirft natürlich die Frage auf, inwieweit Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene durch Gewaltdarstellungen in den Medien in Richtung eines gewalttätigen Verhaltens beeinflusst werden. Nicht nur die Rolle der sogenannten Egoshooter bei der Auslösung von Amokläufen (siehe Kapitel 9) wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, sondern generell die Gewaltdarstellungen und Gewaltfilme. Aus soziologischer Perspektive tendiert die Forschung derzeit zu der Einschätzung, dass der Einfluss umso größer ist, je realistischer die abgebildete Gewalt dargestellt wird und je positiver deren Darstellung erscheint. Michael Kunczik und Astrid Zipfel argumentieren anhand einer Studie (2006), dass die in Comic-Serien dargestellte Gewalt als recht unproblematisch einzuschätzen ist, da sie eindeutig als Fiktion erkannt wird. Dagegen können Thriller mit gewalttätigen Helden, die als Identifikationsfiguren angeboten werden, vermutlich gewaltbereite Kinder und Jugendliche in eine entsprechende Richtung stimulieren. Befunde aus der neurowissenschaftlichen Hirnforschung legen nahe, dass der Konsum von Gewalt in Bildmedien, also in Filmen und in Computerspielen, das kindliche und jugendliche Gehirn so prägt, dass einerseits eine Abstumpfung gegen Gewalt eintritt und andererseits die Hemmschwelle erniedrigt und eine entsprechende Handlungsbereitschaft erhöht wird. Außerdem entsteht dadurch, so stellte Manfred Spitzer (2005) fest, ein verstärkter Appetit auf mehr Gewalt in den Medien, aber genauso im realen Leben. Diese Theorien sind jedoch in ihrer Bedeutung für das reale Verhalten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen umstritten. Man kann allerdings feststellen, dass es einen zwar geringen, aber doch messbaren statistischen Zusammenhang zwischen dem Konsum von gewalttätigen Video- und Computerspielen auf der einen Seite und realer Gewaltanwendung auf der anderen Seite gibt. Ältere Untersuchungen gingen davon aus, dass dieser Zusammenhang wahrscheinlich vor allem bei Jugendlichen besteht, bei denen mehrere Risikofaktoren für aggressives Verhalten zusammentreffen, die bereits zuvor aggre... Leseprobe

Inhalt

Gewalt ein menschliches Grundproblem 9 1 Gewalt aus Leidenschaft Oder was Gewalt mit Rache-, Schuld- und Schamgefühlen zu tun hat Spiel mir das Lied vom Tod 20 2 Faszinosum Gewalt Macht und magische Kräfte Krabat 36 3 Die Lust an der Macht und die Herrschaft des Schreckens Uhrwerk Orange 50 4 Gewalt als letzter Ausweg in der Not Batman The Dark Knight 64 5 Drei Gesichter der Gewalt Batman The Dark Knigh t 85 6 Angst, Aggressivität und Sexualität Warum sie zusammengehören Terminator 100 7 Gewalt und Entwicklung Flexible und fixierte Gewaltidentifikationen Sleepers 119 8 Wie Männer und Frauen mit Gewalt umgehen Gewalt nach außen - Gewalt nach innen 139 9 Gewalt als soziales Ereignis Wie gesellschaftliche Rahmenbedingungen Gewalt auslösen 147 10 Warum wir gewalttätig werden und was wir dagegen tun können 159 Literatur 168 Abbildungsnachweis 172 Über den Autor 173

Schlagzeile

Wie wir Gewalt verstehen und wirksam begrenzen können

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