Beschreibung
Etwas ist zu Ende: eine Freundschaft, eine alte Liebe, eine Kindheit in der Vorstadt, eine Reise ans Meer, ein ganzes Leben. Etwas hat sich verschoben, unmerklich, und alles geht weiter, nichts wie es war. Zsuzsa Bánk erzählt von Menschen, die eines Tages einfach die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen. Von Larry, dem koksenden Dreizentnermann, der Gedichte schreibt. Von Lydia, die der Wind mitnimmt. Von Lisa, die für einen Nachmittag in das winzige italienische Bergdorf zurückkehrt, das ihre Mutter einst verließ - mitten im heißesten Sommer.
Autorenportrait
Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin in Frankfurt am Main. Für ihren ersten Roman 'Der Schwimmer' wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Deutschen Bücherpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Mara-Cassens-Preis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für 'Unter Hunden' aus ihrem Erzählungsband 'Heißester Sommer' erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis. Auch ihre Romane 'Die hellen Tage' und 'Schlafen werden wir später' wurden große Erfolge. Zuletzt erschien 'Sterben im Sommer'.Literaturpreise:Open Mike-Preis 2000Jürgen-Ponto-Preis 2002aspekte-Literaturpreis 2002Deutscher Bücherpreis 2003Mara Cassens Preis 2003Bettina-von-Arnim-Preis 2003Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung 2004
Leseprobe
Zsuzsa Bánk Unter Hunden In einem Haus lebten wir, einem Haus mit roter Fassade, mit fünf oder sechs Stockwerken, Familien über uns, unter uns, übers Haus verteilt, mit ihren Kindern, hinter jeder Tür drei oder vier, mit ihren Großeltern, die an den Fenstern standen, um hinauszusehen auf die Autobahn, auf Strommasten und die wenigen Wege, die hinaus aus dieser Siedlung führten. Kai gehörte zu einer dieser Familien, einer Familie aus Brüdern, in einem dieser Häuser, mit blaßblauer Fassade, auf der anderen Seite der Straße, hinter den Spannungskästen, dort, wo die Züge in die Stadt fuhren und wir uns manchmal, an den Abenden, über die Gleise stießen. Kai, mit einer Mutter, die wir selten sahen, und die Tüten in den Händen hielt, drei, vier in jeder Hand, wenn sie die Straße hinablief, nach ihren Einkäufen, und nie geradeaus schaute dabei, bloß nach unten, auf den Weg, auf die Steinplatten vor ihren Füßen, als hätte sie Angst zu stolpern. Kais Mutter, mit diesem Haar, über das man sagte, sie solle es färben, und mit diesem Ruf, weil man glaubte, jedes ihrer Kinder sei von einem anderen. Ihre jüngeren Söhne gingen auf die schlechten Schulen, die älteren saßen vor den Hauseingängen, unter den Rissen im Vordach, auf Möbeln, die irgendwer auf den Müll geworfen hatte. Immer umgab sich Kai mit zwei, drei Jungen aus der Straße, die ihm blind folgten. Sie zogen mit ihm über Felder, stahlen sich in Hauseingänge, versteckten sich auf Speichern, hinter Türen aus Holzlatten, bis sie jemand verscheuchte. An den Nachmittagen dieses Sommers, an den ich denke, saßen sie neben Kai auf einer Bank, auf diesem Platz, auf dem wir uns alle trafen. Sie saßen dort, ohne viel zu reden, bis in den Abend hinein, wenn sie allein zurückblieben, weil sich der Platz leerte und wir anderen in Hauseingängen verschwanden, hinter roten und blauen Fassaden. Wenn wir sie kommen sahen, schon von weitem, Kai und die anderen, mit ihren Hunden, die sie von der Leine ließen, standen wir von der Bank auf und gingen weiter. Es war etwas an ihnen, das uns bedeutete, es ist nicht gut, ihnen gegenüberzustehen, es ist nicht einmal gut, an ihnen vorbeizulaufen. Kai sprach kaum, meist bewegte er nur sein Kinn, seine Hand, aber jeder verstand seine Gesten, selbst die winzigen, die kaum sichtbaren, und daß es zu spät war, den Platz zu verlassen, wenn Kai und die anderen nähergekommen waren, auch das verstand jeder. In diesem Sommer spielten wir ein Spiel, nachmittagelang, wochenlang. Wir zeichneten einen großen Kreis in den Sand, einen Erdball, mit einem Stock, den wir durch den Sand zogen, von den Bänken bis zu den Schaukeln, teilten die Welt ein, wie wir es wollten, und dann stand jeder auf einem Streifen Sand, auf einem Teil Welt, der an diesem Nachmittag ihm gehörte. Jemand warf ein Stöckchen durch die Luft, durch diesen blauen Himmel ohne Wolken, ein Stöckchen, das sich drehte und wendete im Flug und dem wir nachschauten, die Köpfe in den Nacken geworfen, bereit loszulaufen, sobald es fallen würde. Wenn es einem von uns vor die Füße fiel, der es schnappte und losrannte, liefen wir anderen hinterher, schreiend, kreischend, um dieses Stöckchen zurückzuholen, dieses eine Stück Land zurückzugewinnen, diesen einen Teil Welt, auf dem es gelandet war. Kai teilte die Welt am häufigsten ein, er nahm uns den Stock aus der Hand, wenn wir angesetzt hatten, in den Staub zu zeichnen, warf ihn hoch und weit, und wenn er sich in den Bäumen verfing, zwischen Zweigen, in den dichten Baumkronen weit über uns, und wir anfingen zu lachen, drehte sich Kai zu uns, schnappte sich einen und brüllte, was ist daran witzig, an einem Stock, der in einem Baum landet. Und dann kletterte er hoch, um diesen einen Stock zu holen, obwohl doch überall Stöckchen und Zweige herumlagen. An einem dieser zeitlosen Nachmittage, die sich jetzt so aneinanderreihen, als habe sie nichts unterbrochen, als seien sie ein einziger langer Nachmittag gewesen, warf Kai das Stöckchen vor meine Füße, ohne
Schlagzeile
Nach "Der Schwimmer" - Erzählungen voller Intensität und Geheimnis