Beschreibung
In der gesamten Neuzeit war Freiheit ein Schlüsselbegriff für das Selbstverständnis Europas und Deutschlands. Doch was galt hierzulande zu welchen Zeiten als "Freiheit"? Wie und von wem wurden in Deutschland seit der Frühaufklärung Freiheitsvorstellungen formuliert, diskutiert oder auch machtpolitisch vereinnahmt? Anhand ausgewählter Texte aus vier Jahrhunderten verdeutlicht dieses Buch, dass sich Freiheitsvorstellungen in Deutschland wandelten. Der Begriff blieb jedoch stets eine zentrale politische Kategorie, um das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft zu verhandeln. Immer bewegte er sich dabei im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Kontrolle, Freizügigkeit und Sicherheit, Alterität und Konformität, Emanzipation und Diskriminierung, Gleichheit und Ungleichheit - also von Themen, die auch heute noch ins Mark der politischen und gesellschaftlichen Debatten treffen.
Autorenportrait
Susan Richter ist Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Kiel. Angela Siebold, Dr. phil., war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Urte Weeber, Dr.phil., war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Heidelberg mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit.
Leseprobe
Vorwort Nach der Überwindung des Kalten Krieges war vom Sieg der freien Welt und des freien Europas die Rede. Damit endete jedoch nicht die Geschichte der Freiheit: Der Begriff ist spätestens wieder seit der Bedrohung des Friedens durch Terroranschläge in der Welt, aber auch seit den europäischen und globalen Finanzkrisen von tagesaktueller Relevanz. Trotz dieser Präsenz des Begriffes, so war unser Eindruck, waren und sind im Reden über die Freiheit jedoch zwei Missstände sichtbar: Erstens wurde und wird selten benannt, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser politischen und häufig medialen Diskussion unter dem Begriff der Freiheit verstehen. Zweitens suggerieren diese Diskussionen zugleich, dass es eine überzeitliche Definition von Freiheit gäbe und das, obwohl unser heutiges Freiheitsverständnis individuell, kulturell, sozial, aber natürlich auch historisch bedingt ganz unterschiedlich ist. Beide Aspekte führten unserer Ansicht nach zu einer verkürzten und oberflächlichen Debatte über Freiheit in unserer Gegenwart. Sich der historischen Dimension unseres heutigen Freiheitsverständnisses bewusst zu werden, ist daher das zentrale Anliegen des vorliegenden Buches. Es entstand in der Auseinandersetzung um die Frage, wie insbesondere politische Freiheit in Deutschland heute auf der Grundlage unserer Geschichte begriffen werden kann. Die häufig suggerierte Annahme, dass es eine ahistorische, wahre Definition von Freiheit geben könne, ist dabei selbst ein historisches Phänomen. Denn um die Frage, welche Freiheitsvorstellung die gültige sei, wurde seit Beginn eines politischen Freiheitsdiskurses gerungen. Auf der Basis unserer jeweiligen Forschungsschwerpunkte wählten wir bekanntere, aber auch weniger bekannte Personen aus der Geschichte der Neuzeit aus, die eine programmatische Freiheitsdefinition vertraten und diese schriftlich begründeten. Zuständig für die jeweiligen Kapitel waren dabei von der Frühaufklärung bis ins frühe 19. Jahrhundert Urte Weeber und Susan Richter, für die Zeit vom Vormärz bis in die jüngste Zeitgeschichte Angela Siebold. Unser Buch ist jedoch nicht nur im gemeinsamen Austausch über die klassischen Epochengrenzen hinweg entstanden. Wir diskutierten die im Band aufgeworfenen Fragen zudem ausführlich mit Studierenden des Historischen Seminars der Universität Heidelberg. Die Auswahl der vorliegenden Texte ist deshalb nicht nur, aber auch ein Produkt der intensiven Debatten und des studentischen Engagements, für das wir allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Lehrveranstaltung "Was ist Freiheit? Geschichte des liberalen Denkens seit dem 19. Jahrhundert" aus dem Wintersemester 2014/15 danken. Besonderen Dank für das nachhaltige Interesse und die Fortsetzung der Diskussion in kleiner Runde, die auch hilfreiche Korrekturen und Anregungen formulierte, möchten wir an die Studierenden Jakob Odenwald, Kai Gräf, Pia Hansen, Sebastian Schütte und Felix Reimann richten. Ein weiterer Dank geht an Steve Bahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit, der uns bei der Erstellung des druckfertigen Manuskripts ebenso wie die studentische Hilfskraft Felix Maier maßgeblich unterstützt hat. Besonderer Dank gilt auch Jürgen Hotz vom Campus-Verlag für sein Interesse und gute Gespräche zum Thema "Freiheit", die umfassende Hilfe im Vorfeld des Drucks sowie für die Aufnahme des vorliegenden Bandes in das Verlagsprogramm von Campus. Ein solcher Band war nur mit ausreichend freier Zeit umsetzbar. Für diese danken wir herzlich unseren Familien! Dieses Buch widmen wir unseren Studierenden. Heidelberg, im März 2016 Urte Weeber, Angela Siebold und Susan Richter Freiheitsvorstellungen in der Neuzeit: eine Einleitung Freiheit ist ein "Schlüsselbegriff der Neuzeit",1 der das Selbstverständnis des heutigen Europas und auch der Bundesrepublik Deutschland prägt. Zugleich existiert bisher kein Überblickswerk, das die Geschichte der Freiheitsvorstellungen für die gesamte neuzeitliche Epoche in Deutschland in den Blick nimmt. Dabei lohnt sich die historische Perspektive. Denn was als Freiheit verstanden wurde, wandelte sich in der Geschichte der Neuzeit immer wieder. Selten waren sich Akteure in der Geschichte über eine Definition des Freiheitsbegriffs einig - stattdessen waren die damit verbundenen Vorstellungen Anlass zu konfliktreichen Auseinandersetzungen. Freiheitsvorstellungen standen dabei nicht im luftleeren Raum, sondern stets im Bezug zu den konkreten politischen, sozialen oder ökonomischen Rahmenbedingungen ihrer Zeit. Was kann der Blick in die Vergangenheit leisten? Eine Geschichte der Freiheit zu schreiben, heißt auch, sich der Entstehung und Bedeutung unserer gegenwärtigen Freiheitsvorstellungen anzunähern. Perspektiven aus den vergangenen Jahrhunderten helfen dabei, zu verstehen, auf welcher Grundlage heute Freiheitsvorstellungen formuliert und weshalb dennoch ganz unterschiedliche Konsequenzen für deren Umsetzung gezogen werden. Die Freiheit war immer ein umkämpfter politischer Begriff, in dessen Namen das Wahlrecht gefordert, Revolutionen durchgeführt und Gesetze verabschiedet wurden. Mit Bezug auf den Freiheitsbegriff wurden jedoch auch Kriege begonnen, Menschen vertrieben oder der eigene Machtzuwachs legitimiert. Die Erkenntnis der historischen Wandelbarkeit hilft uns nicht, darüber zu urteilen, wie frei die Menschen in ihren jeweiligen Zeiten tatsächlich waren. Trotzdem lohnt es sich, die historischen Freiheitsvorstellungen und ihre Verschiedenheit in den Blick zu nehmen. Denn erst durch eine bewusste Historisierung von Freiheit kann eine differenzierte und facettenreiche Debatte über die Freiheit in unserer Zeit entstehen. Das vorliegende Buch will einen fundierten und dennoch überblicksartigen ersten Zugang zum Thema "Freiheit" in vier Jahrhunderten deutscher Geschichte anbieten, der zu weiteren Forschungen, Fragen und Diskussionen anregen kann. Dabei wurden nur diejenigen Vorstellungen von Freiheit analysiert, die sich mit dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv auseinandersetzten. Es geht also um eine Geschichte der Freiheit als politische Kategorie. Originaltexte historischer Autorinnen und Autoren zeigen die vielfältigen Vorstellungen, welche mit dem Freiheitsbegriff in Verbindung gebracht wurden. Nur einige der hier ausgewählten Personen waren hauptamtliche Politikerinnen oder Politiker, alle jedoch lassen sich als politisch denkende Menschen bezeichnen. Das ausgewählte Quellenkorpus erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wurden Autorinnen und Autoren ausgewählt, die historisch bedeutsame politische, soziale oder ökonomische Strömungen und damit auch verschiedene Deutungsmuster von Freiheit repräsentieren. Hinzu kommen Texte, die in der Forschung bisher kaum oder gar nicht unter der Fragestellung der Vorstellungen von Freiheit beachtet wurden, und durchaus exemplarische oder in ihrer Zeit ganz neue Aussagen über Freiheit beinhalten. Ziel war dabei auch eine bewusste Diversifizierung über bekannte "Standardtexte" hinaus sowie eine Auswahl programmatischer Texte von unterschiedlichem Bekanntheitsgrad, aber großer Varianz im Freiheitsverständnis. Um das Korpus über die Epochengrenzen hinweg möglichst konsistent zu gestalten, wurden andere Quellengattungen wie Liedgut, Theaterstücke, Belletristik, Lyrik, darstellende Kunst oder audiovisuelle Quellen dezidiert nicht berücksichtigt. Darüber, dass Aushandlungsprozesse um die Freiheit sehr wohl auch in diesen Medien ausgetragen wurden, sind sich die Autorinnen der vorliegenden Abhandlung bewusst. Ergänzende Studien ausgewiesener Experten gerade auch aus den Nachbardisziplinen, etwa der Literatur- und Musikwissenschaft oder der Kunstgeschichte, wären herzlich willkommen. Beim langfristigen Blick auf die vergangenen vier Jahrhunderte wurde deutlich, dass zwar die Antworten auf die Frage "Was ist Freiheit?" sehr unterschiedlich ausfielen. Zugleich verhandelten alle hier gewählten Autorinnen...