Beschreibung
Märkte sind die bedeutendste Institution zur Steuerung kapitalistischer Ökonomien. Die Wirtschaftssoziologie untersucht das Markthandeln unter dem Aspekt der sozialen, kulturellen und politischen Einbettung der Akteure. Dieser Band versammelt erstmalig in deutscher Sprache Beiträge zur soziologischen Forschung über Märkte, unter anderem von international führenden Autoren wie Olivier Godechot, Akos Rona-Tas, Donald MacKenzie, Robert Salais, Richard Swedberg und Harrison C. White.
Autorenportrait
Jens Beckert ist Professor für Soziologie und Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Rainer Diaz-Bone, Dr. soc., ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der FU Berlin. Heiner Ganßmann ist dort Professor für Soziologie.
Leseprobe
Die Wirtschaftssoziologie hatte in Deutschland einen ihrer wichtigsten Entstehungsorte.Nachdem sie in der Nachkriegszeit an Bedeutung verloren hatte,rückt sie seit den neunziger Jahren wieder in das Zentrum soziologischer Forschung.Betrachtet man die im vorliegenden Band versammelten Beiträge, sozeigt sich darin der Aufschwung der Wirtschaftssoziologie auch in Deutschland.Aus Sicht der Wirtschaftssoziologie wie auch der internationalen Gemeinschaftder Sozialwissenschaftler ist dies eine begrüßenswerte Entwicklung.Wie könnte man einen solchen Prozess besser in Gang bringen als miteinem Band über die Soziologie der Märkte? Die Wirtschaftssoziologie entstandwie die moderne Ökonomie aus dem Versuch heraus, zu verstehen, was derGesellschaft im 19. Jahrhundert widerfuhr, als die Marktwirtschaft mit großerHeftigkeit einsetzte. Dies gilt für die Arbeiten von Karl Marx (den einige als denBegründer der Wirtschaftssoziologie ansehen) und Max Weber (der den BegriffWirtschaftssoziologie einführte und als Erster ein systematisches Vorgehen fürdiesen Ansatz vorlegte) gleichermaßen.Die Beiträge von Marx und Weber zur Analyse des Marktes sind weiterhinGrundlagenwerke von ungebrochener Aktualität. Jedoch ist viel passiert seitihrerEntstehung, nicht zuletzt in der wirtschaftssoziologischen Betrachtungvon Märkten. Den wohl wichtigsten Beitrag in der Zeit zwischen den Weltkriegenleistete Joseph Schumpeter, der eine Theorie zur Rolle des Unternehmers inder Marktwirtschaft aufstellte. Formal ist diese Theorie der von Schumpeterselbst so genannten Wirtschaftstheorie zuzuordnen, doch steht sein Ansatz derUnternehmeranalyse in vielerlei Hinsicht der Soziologie mit ihrem Interesse anNormen und sozialen Strukturen nahe. Ebenso bezeichnet Schumpeter die Wirtschaftssoziologieexplizit als einen wichtigen Teil des weiten Feldes der Ökonomikoder wie er sie lieber nennt Sozialökonomik.Nach Ende des Zweiten Weltkrieges lieferte Karl Polanyi den Hauptbeitragzur Soziologie der Märkte. In The Great Transformation (1957 [1944]) skizziert erdas zerstörerische Potenzial des Marktes und legt darüber hinaus nahe, dass einegut funktionierende Marktwirtschaft in die gesamte Gesellschaft eingebettetsein und sich unter politischer Kontrolle befinden muss. In anderen Schriftenstellt Polanyi neue theoretische Instrumente für Wirtschaftssoziologen vor. Erweist darauf hin, dass neben der auf Tausch basierenden Marktwirtschaft auchandere, auf Reziprozität und Umverteilung basierende Wirtschaftsformen möglichsind. Ebenso verdeutlicht Polanyi, dass alle diese drei Arten wirtschaftlicher BetätigungBestandteile der modernen Wirtschaft sind. Während im Unternehmenssektorbeispielsweise der Tausch vorherrscht, ist das Wirtschaften der privatenHaushalte von Reziprozität geprägt und das des öffentlichen Sektors vonUmverteilung.Dies bringt uns in die Gegenwart und zu jener Entwicklung, die Mitte derachtziger Jahre als »neue Wirtschaftssoziologie« ihren Anfang nahm: Vertreterder neuen Wirtschaftssoziologie begannen, sich dem Phänomen Markt vonverschiedenenSeiten zu nähern, insbesondere mittels der Netzwerktheorie, derOrganisationssoziologieund der Kultursoziologie. So kann man etwa die Interaktionsstrukturvon Märkten mithilfe der Netzwerktheorie beschreiben. Auchkann man einen Markt als Organisationsform ansehen, darüber hinaus sinddie Akteure auf einem Markt oft selbst Organisationen. Und schließlich setztMarktverhalten in vielerlei Hinsicht Kulturverständnis voraus und greift daraufzurück.Einige der prominentesten Vertreter der aktuellen wirtschaftssoziologischgeprägten Marktanalyse haben zum vorliegenden Band beigetragen. Die Einführungzu den einzelnen Kapiteln möchte ich jedoch den Herausgebern überlassenund stattdessen auf den nächsten Seiten das Phänomen Markt in einerallgemeineren Form erörtern. Das ist notwendig, weil trotz all der wichtigenBeiträge, die zum besseren Verständnis des Marktes bereits geleistet wordensind, immer noch einiges unklar ist. Dies wird deutlich, wenn man die Fragenstellt: »Was genau ist ein Markt?« und »Was genau macht ein Markt?«.Um diese Fragen beantworten zu können, muss man verstanden haben, wasmit dem Begriff Markt eigentlich gemeint ist. Wie wir gleich sehen werden, wirddieses Verständnis dadurch erschwert, dass der Begriff historisch zwei unterschiedlicheBedeutungen hat. Hinzu kommt, dass er im Lauf der vergangenenJahrzehnte politisch aufgeladen worden ist.Beginnen wir mit den beiden Bedeutungen. Der Begriff »Markt« bezeichnetzunächst einmal ein Gebiet, auf dem Tausch stattfindet. Er wird aber ebenso als sozialerMechanismus für wirtschaftliches Wachstum verstanden, oder, wie die Ökonomenes ausdrücken, als Mechanismus zur effizienten Ressourcenallokation. Diesebeiden Bedeutungsgruppen sind offensichtlich sehr verschieden. Während dieeine betont, was hauptsächlich quasi innerhalb des Marktes passiert, hebt die andere hervor, was vor allem außerhalb des Marktes geschieht, oder, genauer gesagt,wie der Markt in den Wirtschaftsprozess eingebunden ist.Da der Begriff »Markt« auch im öffentlichen und politischen Diskurs sowichtig geworden ist, plädiere ich dafür, bei der Diskussion seiner Bedeutungzunächst seine ideologische Verwendung zu betrachten. Auf den ersten Blickerkennbar, enthalten die meisten modernen politischen Weltbilder, vom rechtenbis zum linken Spektrum, Bezüge zum Markt. Libertäre vertreten eine Meinung,Kommunisten eine andere und so weiter.
Inhalt
Danksagung ................................................................................... 9VorwortRichard Swedberg ............................................................................... 11Einleitung: Neue Perspektiven für die MarktsoziologieJens Beckert, Rainer Diaz-Bone und Heiner Ganßmann .................................. 19Teil I Koordination, Unsicherheit und Vertrauen in MärktenDie soziale Ordnung von MärktenJens Beckert ...................................................................................... 43Doppelte Kontingenz und wirtschaftliches HandelnHeiner Ganßmann .............................................................................. 63Unsicherheit und soziale Einbettung: Konzeptionelle Probleme der WirtschaftssoziologieChristoph Deutschmann ........................................................................ 79Die »Ökonomie der Konventionen«: Eine Einführung mit Anwendung auf die ArbeitsweltRobert Salais .................................................................................... 95Postkommunistische Verbraucherkreditmärkte: Drei Modalitäten der Rationalität und ihre WidersprücheAkos Rona-Tas ............................................................................... 113Teil II Mechanismen der Preis- und WertkonstruktionDie materiale Soziologie der ArbitrageDonald MacKenzie, Daniel Beunza und Iain Hardie ................................... 135Rechnende Organisation: Zur Anthropologie des RisikomanagementsHerbert Kalthoff .............................................................................. 151Ästhetisierung, Unsicherheit und die Entwicklung von MärktenJörg Rössel ..................................................................................... 167»Marken machen Märkte«: Eine funktionale Analyse des Zusammenhangs von Märkten und MarkenKai-Uwe Hellmann .......................................................................... 183Teil III Marktstrukturen und -dynamikenMärkte als soziale FormationenHarrison C. White und Frédéric C. Godart ............................................... 197Technologieentwicklung und MarktkonstitutionArnold Windeler und Cornelius Schubert ................................................. 217Märkte und SchutzrechteReto M. Hilty ................................................................................. 235Teil IV Tausch und Habitus in ökonomischen FeldernHabitusformierung und Theorieeffekte: Zur sozialen Konstruktion von MärktenRainer Diaz-Bone ............................................................................ 253Der Finanzsektor als Feld des Kampfes um die Aneignung von GewinnenOlivier Godechot .............................................................................. 267Kaufen, Verkaufen, Schenken: Die Simultanität von TauschpraktikenFrank Hillebrandt .......................................................................... 281Literatur ...................................................................................... 296Autoren ...................................................................................... 320Personenregister ........................................................................... 322Sachregister ................................................................................. 328
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