Beschreibung
Permanentes Wachstum und Beschleunigung - das Selbstzerstörungspotenzial des Kapitalismus Um dem Hamsterrad zu entkommen, zeigt Fritz Reheis "kleine", persönliche Ausstiege auf, vom Sabbatical bis zur bewussten Überprüfung der Lebensbereiche, in denen wir uns besonders unter Druck fühlen. Wer an die Wurzel des Problems gehen will, muss sich allerdings nach Synergiepartnern umsehen, nach Menschen und Netzwerken mit dem gleichen Problembewusstsein; denn die entfesselte Geldlogik, die Produktion um der Produktion willen, ist nur gemeinsam zu bezwingen. "Entschleunigung" verbindet brillante Analyse mit pragmatischen Vorschlägen, wie wir persönlich Zeitqualität zurückgewinnen und Sand ins turbokapitalistische Getriebe streuen können.
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Autorenportrait
Fritz Reheis, Jahrgang 1949, studierte Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Pädagogik und Philosophie. Er promovierte in Soziologie. Seit 1983 unterrichtet er als Gymnasiallehrer in Neustadt bei Coburg. Zusätzlich ist er seit zwölf Jahren nebenamtlich als Lehrbeauftragter für Politik, Zeitgeschichte, Soziologie und Pädagogik an mehreren Hochschulen tätig.
Leseprobe
Im Hamsterrad Nur nicht aus dem Tritt kommen! 'Manchmal glaube ich, mein Mann ist mit seinem Beruf verheiratet.' Das hört die Hamburger Paartherapeutin Angelika Kempfert öfters. Und sie spürt, dass viele Frauen den Beruf des Partners als 'ihren persönlichen Feind' ansehen. In der Tat: Der Zeitdieb Nummer eins ist vermutlich die Arbeit, und sexuelle sowie andere Probleme in der Partnerschaft hängen in vielen Fällen mit Arbeitsstress zusammen. Wer vom Büro erschöpft nach Hause kommt und auch nach Feierabend und am Wochenende nicht richtig abschalten kann, der tut sich natürlich auch schwer mit dem Genuss der eigenen Sinnlichkeit, erst recht mit der Öffnung für seine Mitmenschen. Auf die Arbeitswelt werden wir in der Schule vorbereitet. Sie ist auch der Ort, an dem wir zum ersten Mal im Leben mit systematischer Zeitknappheit konfrontiert werden. Deshalb beginnt in diesem Kapitel unser Blick in das Innere des Hamsterrades bei der 'Schullaufbahn', wandert dann in die Arbeits- und Konsumwelt, in die Führungsetagen von Wirtschaft und Staat. Gefragt wird schließlich, wie unsere individuelle Lebensgeschichte und sogar die Formung unserer Persönlichkeit unmerklich vom Zeitdruck geprägt werden. Lernen im Laufschritt 'Die meisten Lehrer erklären etwas und stellen schon die Frage, ob man das verstanden hat. Man hat oft noch gar nicht alles mitgeschrieben und soll schon die Frage beantworten. Es geht alles viel zu schnell. Man hat keine Zeit, sich zu überlegen, ob man das verstanden hat.' So äußert sich eine Schülerin im österreichischen Klagenfurt in einem Interview über ihre Erfahrungen mit Zeitdruck in der Schule. Und eine andere Schülerin präzisiert: 'Man hat ... zwölf Gegenstände, die sind wie zwölf parallele Einbahnstraßen angeordnet. Jeder fährt in seiner Geschwindigkeit dahin, und als Schüler bist du dem völlig ausgeliefert. Du musst jede Stunde auf eine andere Straße wechseln, sitzt jede Stunde in einem anderen Auto mit den gleichen Passagieren, nur mit einem anderen Chauffeur.' Der Lehrer und Erziehungswissenschaftler Bruno Posod, der die Aussagen von insgesamt 1400 Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern ausgewertet hat, kommt zu einem vernichtenden Urteil: 45 Prozent der 14- bis 19-Jährigen verspüren 'oft' oder sogar 'immer' Zeitnot im Zusammenhang mit schulischer Arbeit. 70 Prozent gaben an, auf ihre individuellen Zeitbedürfnisse werde in der Schule nur 'manchmal', 'selten' oder 'nie' Rücksicht genommen. Und 95 Prozent berichteten, dass sie in der Schule nur 'manchmal', 'selten' oder sogar 'nie' lernen, auf ihre Gefühle zu achten bzw. diese auszudrücken. Zu viel Stoff und zu wenig Zeit - darin waren sich fast alle befragten Schüler, die meisten Eltern und auch viele Lehrer einig. Natürlich gab es auch Kinder und Jugendliche, denen es zu langsam geht, die sich unterfordert fühlen. Und bisweilen bestimmt bekanntlich auch Langeweile den Schulalltag. Aber das kann ebenfalls belastend sein, weil die Kinder spüren, dass ihre Bedürfnisse in der Schule nicht wirklich ernst genommen werden. Insgesamt jedoch überwog die Erfahrung des Zeitdrucks in den Berichten. Erziehung zur Schnelligkeit scheint eine der zentralen Wirkungen, vielleicht sogar das zentrale Ziel von Schule zu sein. Im Übrigen zeigt die regelmäßige Erfahrung von Grundschullehrern, dass auch manche Eltern schon wenige Wochen nach der Einschulung ängstlich darüber wachen, dass ihr Sprössling gegenüber anderen Kindern in Parallelklassen oder Nachbarschulen nur ja nicht in Verzug gerät - in der Befürchtung, damit bereits am Anfang der Schullaufbahn in der Konkurrenz um Lebenschancen benachteiligt zu werden. Posod sieht in der einseitigen Schnelligkeitsorientierung eine Gefahr, weil dadurch die Fähigkeit zum genauen Wahrnehmen, zum Nachdenken über das Wahrgenommene, zur intensiven Durchdringung, zum Überprüfen und Bewerten des Gelernten zu kurz kommt. Dies mag Schülern, Eltern und Lehrern zwar nicht bew ...