Beschreibung
Seit über 40 Jahren begeistern Oliver Hassencamps Internatgeschichten Millionen von Leserinnen und Lesern. Nachdem sie fünf Jahre vom Markt verschwunden waren, sind sie jetzt endlich wieder lieferbar, erstmals als Taschenbuchausgabe. Der Text wurde behutsam modernisiert und die Bände neu illustriert. Diese neue Ausgabe wird viele neue Leserinnen und Leser zu echten Schreckensteinern machen!
Burg Schreckenstein und Schloss Rosenfels - zwei Schulen, mal gegeneinander, mal miteinander. Die Jungen auf Burg Schreckenstein genießen die liberalen Erziehungsmethoden und lassen keine Gelegenheit aus, Streiche auszuhecken. Manchmal sind die Mädchen des recht streng geführten Schloss Rosenfels Zielscheibe ihrer Aktivitäten, mal sind sie aber auch die Verbündeten.
Autorenportrait
Oliver Hassencamp (1921-1988) besuchte nach dem Studium der Rechte, der Kunst und Psychologie die Schauspielschule. Er arbeitete als Schauspieler, Kabarettist und Texter beim Theater, Film, Funk und Fernsehen.
Leseprobe
Der Mann mit der Nase
Eigentlich stand Neustadt zu seinem Namen im Widerspruch, es war nämlich eine sehr alte Stadt. Mit Türmen, Toren, Giebeln, prächtigen Fassaden und winkeligen Gassen hatte es sich zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. An sonnigen Feiertagen glich der Marktplatz vor dem Münster eher dem Parkplatz vor einem Sportstadion.
So malerisch Neustadt für die Fremden sein mochte - die Einwohner empfanden es als eng. Am allerengsten ging's in der ältesten Schule zu. Dort saßen die zum Lernen Verurteilten so gedrängt, dass sie bei Klassenarbeiten um das Abschreiben gewissermaßen gar nicht herumkamen. Vor lauter fremden Heften rechts und links sah man das eigene kaum noch. Sogar die Lehrer fanden, dass es so nicht weitergehen könne. Direktor Meyer hatte bei der letzten Schulfeier offen von 'unhaltbaren Zuständen' gesprochen. Der Bürgermeister war rot geworden wie eine Verkehrsampel. Wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen, weil sein Sohn in die moderne und geräumige Franz-Joseph-Schule ging.
Der Rex, wie Direktor Meyer genannt wurde, nahm selten ein Blatt vor den Mund.
Eines Tages herrschte große Aufregung.
'Heut dauert der Unterricht nur bis elf!', ließ Fritz alle wissen. An und für sich wäre das ein Anlass zur Freude gewesen, trotzdem war keinem recht wohl dabei. Irgendjemand behauptete nämlich, der Rex habe alle Eltern zu einer Unterredung in den Rathaussaal gebeten. Das war noch nie vorgekommen und daher verdächtig, schon weil niemand den Grund kannte.
Nicht einmal Dampfwalze, der größte und stärkste Schüler, hatte eine Ahnung. Und Dampfwalze wusste sonst alles, denn seiner Mutter gehörte die Weinstube Zum guten Tropfen. Und dort hatten die Lehrer ihren Stammtisch.
'Sicher geht es um die Schule', stellte Musterschüler Strehlau fest.
'Was du nicht sagst! Wir dachten, es geht um deine Großmutter!' Mücke sah über seine Brille an dem langen Lernwunder hinauf. Den Spitznamen verdankte er seiner kleinen Gestalt und seiner scharfen Zunge, mit der er sozusagen zustach, fix, eben wie eine Mücke.
Die Umstehenden lachten und Ottokar, wohl der Besonnenste von den Großen, meinte: 'Dann gehen wir um elf ins Capri!' Sein Vorschlag wurde mit Freudengeheul aufgenommen, denn es war ein schwüler Tag und im Capri, nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, gab es das beste Eis in der Stadt. Ottokar hatte immer gute Ideen.
Jeder mit seinem Kleingeld klimpernd, standen die Jungen der wenigen Klassen aus dem Uraltschulhaus bald Schlange vor der Konditorei. Unter ihnen auch Ralph, der Sohn des Besitzers. Wie meist während der Woche war der Marktplatz fast leer. So konnten die Jungen ab und zu Stimmen aus dem Rathaussaal hören. Was Eltern und Lehrer dort besprachen, war jedoch nicht zu verstehen.
'Schau mal, was da kommt!', sagte Dieter zu seinem Freund Klaus und deutete auf einen Geländewagen, der gerade beim Rathaus vorbeifuhr.
'Allradantrieb! Bis aufs Reserverad natürlich', kommentierte Witzbold Klaus.
Das hochbeinige Gefährt hielt, der Fahrer sprang heraus, lief um den Kühler herum, öffnete die rechte Tür und half einem spindeldürren Mann mit unmäßig großer Nase beim Aussteigen.
'Mensch, das ist doch der Graf von Schreckenstein! Was will der denn hier?', wunderte sich Dampfwalze, während die große Nase hinter der Rathaustür verschwand.
'Woher kennst du diesen Flachmann?', fragte Dieter.
'Durch meine Mutter', brummte Dampfwalze und zog ein Gesicht, als ob das zu wissen zur Allgemeinbildung gehöre.
'Eine Nase wie 'ne Mauersäge!', meinte Mücke und alle lachten.
'Der geht in die Sitzung!', vermutete Hans-Jürgen und schleckte an seiner Riesenportion.
'Soll er!' Dampfwalze stibitzte Strehlau die Kirsche von seinem Eis. 'Und was machen wir jetzt?'
Ottokar hatte sofort eine Idee. 'Wenn alle mit dem Eis fertig sind, können wir ja ein bisschen singen.'
'Schau dir den an! ... Leseprobe