Beschreibung
Neapel 1943: Die deutschen Nationalsozialisten werden von den Neapolitanern vertrieben, die Alliierten sind gelandet und kämpfen gemeinsam mit den italienischen Widerstandskämpfern. Doch mit den Befreiern verbreitet sich ein anderes Übel in der Stadt. "Es waren die Tage der 'Pest' in Neapel." So beginnt Curzio Malapartes skandalöser Roman "Die Haut", der unmittelbar nach seinem Erscheinen 1949 vom Vatikan auf den Index gesetzt wurde, seinen Verfasser jedoch schlagartig weltberühmt machte. Einen Tanz auf dem Vulkan beleuchtet dieser reportagehafte Roman voller schockierender Bilder, dem zu folgen auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung verstört.
Autorenportrait
Curzio Malaparte, 1898 in Prato, nahe Florenz, als Sohn eines deutschen Vaters und einer italienischen Mutter unter dem Namen Kurt Erich Suckert geboren, gestorben 1957. Er arbeitete als Journalist, u.a. beu La Voce, La Stampa und Corriere della Sera. Seine Bücher erreichten Millionenauflagen und wurden in alle Sprachen der Welt übersetzt. 2004 erschien bei Zsolnay Kaputt, 2006 folgte der Roman Die Haut.
Leseprobe
1. DIE PEST Es waren die Tage der 'Pest' in Neapel. Jeden Nachmittag um fünf Uhr, nach einer halben Stunde Punchingball und einer heißen Dusche in der Sporthalle der P.B.S., Peninsular Base Section, gingen Colonel Jack Hamilton und ich zu Fuß zur Piazza San Ferdinando hinab; mit den Ellbogen mußten wir uns einen Weg durch die Menschenmenge bahnen, die sich vom frühen Morgen bis zur abendlichen Sperrstunde lärmend auf der Via Toledo drängte. Wir waren sauber gekleidet, gebadet, wohlgenährt, Jack und ich, inmitten dieser elenden, schmutzigen, verhungerten, in Lumpen gekleideten, fürchterlichen Volksmassen Neapels, die von den aus allen Rassen der Erde bestehenden Soldatenscharen der Befreierheere hin und her gestoßen und in allen Sprachen, in allen Dialekten der Welt beschimpft wurden. Die Ehre, als erste befreit zu werden, hatte das Schicksal, unter allen Völkern Europas, dem neapolitanischen Volke zuteil werden lassen: Und um eine so wohlverdiente Belohnung festlich zu begehen, hatten meine armen Neapolitaner nach drei Jahren Hunger, Seuchen, wütender Bombardements dem Vaterland zuliebe die heiß ersehnte und beneidete, ehrenvolle Aufgabe bereitwillig übernommen, die Rolle eines besiegten Volkes zu spielen, zu singen, in die Hände zu klatschen, vor Freude zwischen den Ruinen ihrer Häuser zu tanzen, fremde bis zum Vortage noch feindliche Fahnen zu schwenken und aus den Fenstern Blumen über die Sieger zu streuen. Aber trotz der allgemeinen aufrichtigen Begeisterung gab es nicht einen einzigen Neapolitaner in ganz Neapel, der sich als Besiegter gefühlt hätte. Ich vermöchte nicht zu erklären, wie dieses seltsame Gefühl in der Volksseele entstanden war. Es stand außer Zweifel, daß Italien, und somit auch Neapel, den Krieg verloren hatte. Es ist sicher weit schwieriger, einen Krieg zu verlieren als ihn zu gewinnen. Einen Krieg gewinnen - das können alle, aber nicht alle sind fähig, ihn zu verlieren. Doch genügt es nicht, den Krieg zu verlieren, um das Recht zu haben, sich als besiegtes Volk zu fühlen. In ihrer von alters her überkommenen Weisheit, die aus der schmerzensvollen Erfahrung vieler Jahrhunderte gespeist wurde, und in ihrer aufrichtigen Bescheidenheit maßten sich meine armen Neapolitaner nicht das Recht an, sich als besiegtes Volk zu fühlen. Es war das ohne Zweifel ein schwerer Mangel an Takt. Aber konnten die Alliierten mit dem Anspruch auftreten, die Völker zu befreien und sie gleichzeitig zwingen, sich als Besiegte zu fühlen? Entweder frei oder besiegt. Es wäre ungerecht, dem neapolitanischen Volk einen Vorwurf daraus zu machen, wenn es sich weder frei noch besiegt fühlte. Während ich neben Colonel Hamilton einherging, kam ich mir in meiner englischen Uniform erstaunlich lächerlich vor. Die Uniformen des italienischen Befreiungskorps waren alte englische khakifarbene Monturen, die vom britischen Oberkommando an Marschall Badoglio geliefert und intensivgrün, eidechsenfarben, umgefärbt worden waren, wohl um die Blutflecken und Durchschüsse zu überdecken. Es waren tatsächlich Uniformen, die man den vor El Alamein und Tobruk gefallenen britischen Soldaten abgenommen hatte. An meiner Jacke waren die Löcher von drei Maschinengewehr-Durchschüssen zu sehen. Mein Netzhemd, meine Bluse, meine Unterhose waren blutbefleckt. Selbst meine Schuhe stammten von der Leiche eines englischen Soldaten. Als ich sie das erstemal anzog, verspürte ich unter der Fußsohle ein Stechen. Ich dachte anfangs, daß sich im Schuh ein Stückchen Knochen des Toten festgesetzt habe. Es war ein Nagel. Es wäre wohl besser gewesen, wenn es sich wirklich um ein Stückchen Knochen des Gefallenen gehandelt hätte; es wäre viel leichter für mich gewesen, ihn zu entfernen. Ich brauchte eine halbe Stunde, um eine Zange aufzutreiben und den Nagel herauszuziehen. Man kann es nicht anders behaupten: Er hatte für uns wirklich gut geendet, dieser unsinnige Krieg. Er konnte sicherlich nicht besser enden. Unser Selbstgefühl als besiegte Soldaten war gerettet: Nunme Leseprobe