0

Quasi dasselbe mit anderen Worten

Über das Übersetzen

Erschienen am 05.08.2006
Auch erhältlich als:
27,90 €
(inkl. MwSt.)

Nicht lieferbar

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446207752
Sprache: Deutsch
Umfang: 464 S., mit Textabbildungen und Tabellen
Format (T/L/B): 3.2 x 22 x 15.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Inhaltsbeschreibung folgt

Produktsicherheitsverordnung

Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
pina.lore@hanser.de
Kolbergerstaße 22
DE 81679 München

Autorenportrait

Umberto Eco wurde am 5. Januar 1932 in Alessandria (Piemont) geboren und starb am 19. Februar 2016 in Mailand. Er zählte zu den bedeutendsten Schriftstellern und Wissenschaftlern der Gegenwart. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt u.a. der Roman Nullnummer (2015), Pape Satàn (Chroniken einer flüssigen Gesellschaft oder Die Kunst, die Welt zu verstehen, 2017), Auf den Schultern von Riesen (Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis, 2019) und Der ewige Faschismus (2020).  

Leseprobe

Im übrigen lade ich den Leser zu einem einfachen Gedankenexperiment ein: Angenommen, wir geben einem Übersetzer einen französischen Text, der im Format A4 und im Schriftgrad 12 Punkt gedruckt 200 Seiten umfaßt, und der Übersetzer bringt uns als Resultat seiner Arbeit einen Text im selben Format und gleicher Schrift, der 400 Seiten umfaßt. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, daß mit dieser Übersetzung etwas nicht stimmen kann. Ich denke, man könnte den Übersetzer fortschicken, ohne sein Produkt gelesen zu haben. Gäben wir jedoch einem Filmregisseur die kürzeste jemals geschriebene Kurzgeschichte, die wir dem guatemaltekischen Schriftsteller Augusto Monterroso verdanken und die da lautet: Cuando desperto, el dinosauro todavía estaba allí ('Als er/sie/es erwachte, war der Dinosaurier immer noch da'), und er brächte uns ein Videoband mit einem zwei Stunden langen Film, so könnten wir nicht ohne weiteres entscheiden, ob es sich um ein inakzeptables Produkt handelt. Wir müßten den Film erst sehen, um zu verstehen, wie der Regisseur diese unheimlich anmutende Geschichte interpretiert und in Bilder umgesetzt hätte. Walt Disney hat aus Pinocchio einen Film gemacht. Natürlich haben die Collodianer sich beschwert, daß Pinocchio darin wie ein Tirolerbub aussieht, daß er nicht so hölzern ist, wie ihn die ersten Illustrationen von Mazzanti oder Mussino unserer kollektiven Bilderwelt eingebrannt haben, daß einige Elemente der Handlung geändert worden sind und so weiter. Aber nachdem Walt Disney die Filmrechte einmal erworben hatte (was überdies bei Pinocchio gar nicht mehr nötig war), konnte ihn niemand wegen Untreue vor Gericht stellen - können doch selbst die noch lebenden Autoren eines an Hollywood verkauften Buches sich höchstens noch entrüsten und vom Regisseur distanzieren, aber wenn der Produzent den Lizenzvertrag vorlegt, ist kaum noch etwas zu machen. Gäbe dagegen ein französischer Verlag eine Neuübersetzung von Pinocchio in Auftrag und der Übersetzer lieferte ihm einen Text, der mit Longtemps je me suis couche de bonne heure anfinge, so hätte der Verlag das Recht, die Arbeit abzulehnen und den Übersetzer unbezahlt fortzuschicken. Beim Übersetzen im engeren Sinne gilt ein stillschweigendes Prinzip, nach dem man sich an die rechtsverbindliche Respektierung der Worte anderer zu halten hat, auch wenn es eine interessante juristische Frage ist, was man unter Respektierung der Worte anderer versteht, wenn man von einer Sprache in eine andere wechselt. Klarstellen möchte ich (und hoffe, damit keinen Anlaß zur Empörung für einige schöne Seelen zu geben), daß ich, um die Übersetzung im engeren Sinne zu definieren, mich lieber an ökonomische Kriterien und solche der beruflichen Ethik halte als an mystische Spekulationen über den inneren Gleichklang, der sich zwischen Autor und Übersetzer einstellen müsse. Wenn ich eine Übersetzung lese, die ein großer Dichter von einem anderen großen Dichter gemacht hat, erwarte ich nicht etwas, das dem Original sehr ähnlich ist; im Gegenteil, ich lese die Übersetzung gewöhnlich, weil ich das Original bereits kenne und sehen will, wie der übersetzende Künstler sich zu dem übersetzten Künstler verhalten hat, sei¿s in Begriffen der Herausforderung oder der Hommage. Wenn ich ins Kino gehe, um Pietro Germis Un maledetto imbroglio [Unter glatter Haut] zu sehen, denke ich nicht, auch wenn ich weiß, daß der Film 'frei nach' Gaddas Gräßlicher Bescherung in der Via Merulana gemacht worden ist, daß ich anschließend auf die Lektüre des Buches verzichten könnte (es sei denn, ich bin ein geistig minderbemittelter Kinogänger). Ich weiß von vornherein, daß ich in dem Film Elemente der Handlung, psychologische Züge der Personen und einige römische Milieus wiederfinden werde, aber sicher kein Äquivalent des vertrackten und anspielungsreichen Umgangs mit Sprache, für den Gadda berühmt ist. Lese ich dagegen die italienische Übersetzung eines fremdsprachigen Werkes, sei es einer soziologischen ... Leseprobe