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Schwimmen lernen

Erzählungen

Erschienen am 16.09.2006
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446207691
Sprache: Deutsch
Umfang: 251 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 20.9 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Graham Swift, Autor so hochgerühmter Romane wie "Letzte Runde" und "Das helle Licht des Tages", erzählt in diesen Geschichten von den guten und schlechten Dingen, die Menschen einander antun, und manchmal auch vom Glück. Ein junges Liebespaar versteckt sich vor den Eltern, und man ahnt, dass der heiße Sommer und grundlegender Geldmangel die beiden auf eine harte Probe stellen werden. Ein Mann stellt fest, dass er und seine Frau von zwei verschiedenen Planeten stammen könnten, so unterschiedlich ist ihre Wahrnehmung der Welt. Swifts Personen sind ganz alltägliche Menschen, die sich vor heftigen Gefühlen fürchten und viele Dinge mehr ahnen als verstehen.

Leseprobe

Cliffedge Was hat das Meer an sich, daß sich Menschen zu ihm hingezogen fühlen? Was verlockt die Müßigen, ausgelassene oder nachdenkliche Stunden an seinem Gestade zu verbringen? Was hat auf den Kliffs der Südküste und entlang ihrer Kiesstrände diese eiscremefarbenen Kolonien, diese Außenposten des Vergnügens, erbaut? Das Vergnügen daran, am Abgrund zu stehen? Das Vergnügen an der Gefährdung allen Vergnügens? Wie hätten sie sonst auf so wundersame Weise intensiv, so faszinierend sein können, diese kleinen Welten (der Pier, die Rettungsstation, das Aquarium), die wir früher jeweils zwei von zweiundfünfzig Wochen lang erlebten, wenn sie nicht gegen dieses schlafende Ungeheuer, das Meer, gepreßt gewesen wären? Unsere ersten Ferien in - nennen wir es aus bestimmten Gründen Cliffedge - liegen lange zurück. Jeden August kamen wir, Neil und ich, mit unseren Eltern per Zug hierher. Der Ort war damals auf diese seltsame, einzigartige Weise mit -Ferien- verbunden. Fremdartig, voller Zauber, aber nicht real. Er hätte zu einer Erinnerung werden können - werden sollen -, bleibend, aber doch verblassend wie jene verblassenden Fotos, die damals gemacht worden waren: wir beide bis zum Hals im Sand eingegraben oder in den Wellen planschend. Neil, zwei Jahre jünger als ich, der Zierlichere, Knochigere, Erregbarere. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß diese Welt aus Salz und Sonnenbrand fünfzehn, zwanzig Jahre später immer noch nicht ein Teil der Erinnerung geworden war. Daß ich immer noch mit meinem Bruder - er jetzt dreiunddreißig, ich fünfunddreißig - in dasselbe Seebad fuhr. Daß ich ihm nicht wie früher Mutter und Vater im Zug Limonade und Schokolade, sondern Bier und Zigaretten kaufte. Daß ich auf ihn aufpaßte - als hätte ich wirklich die frühere Rolle meiner Eltern übernommen -, wenn er oben auf den Kliffs, unten auf den Kieseln seine gefährlichen Spiele spielte. Ich sagte zu Mary: -Ich habe diesen Bruder, der nie erwachsen wird. Ich muß mit ihm ab und zu einen Ausflug oder dergleichen machen, ja sogar Urlaub am Meer. Das ist notwendig, und das Problem ist ernst. Und zwar deshalb, weil Neil nicht wie andere Kinder, denen man ein Vergnügen versagt, einfach nur einen Wutanfall bekommt. Er droht damit, sich umzubringen.- Ich war auf der Hut, glaubte, mich rechtfertigen zu müssen. Mary runzelte die Stirn, sah einen Augenblick lang ernst, ja sogar ein bißchen bedrückt aus, dann legte sie ihre Hand auf die meine und zeigte den fröhlichen, ein wenig harten Gesichtsausdruck, den ich inzwischen so gut kenne, ebenso wie seine tiefere Bedeutung: Ich kann selber auf mich aufpassen; an meiner Fähigkeit dazu besteht kein Zweifel. Sie drückte meine Hand und ­ lächelte. Dann sagte sie: -Ich bin sicher, wir werden damit fertig.- Und auch diesen Ausdruck kenne ich inzwischen gut - betrachte ihn fast als Marys Motto und Lebensphilosophie: mit etwas fertig werden. Das war vor Jahren gewesen, bevor wir heirateten. Und Mary hatte vielleicht nicht wissen können, wie todernst es mir mit meiner Warnung gewesen war. Daß das, was anfänglich wie ein ärgerliches, aber zu bewältigendes Hindernis ausgesehen hatte, das man mit der Zeit überwinden würde, zu einer nicht abzuschüttelnden Last werden sollte. Daß sich ihr -Damit-fertig-werden- (denn immer wurde sie mit allem fertig) zunächst zu einer Art selbstgerechter Distanziertheit entwickeln sollte (Das ist dein Problem, es wäre nicht gerecht, wenn ich dadurch behindert würde) und schließlich dazu, daß sie, wenn ich mit Neil in dessen -Urlaub- fuhr, ihrerseits ebenfalls Urlaub machte (es war undenkbar, daß wir drei zusammen hätten wegfahren können), Urlaub, den sie, wie ich schnell begriff, zusammen mit ihrem Liebhaber verbrachte. Ich erinnere mich noch an einen lange zurückliegenden Sommer in Cliffedge. Neil wollte mit einem der Boote hinausfahren, mit denen Fischer Gäste zum Makrelenangeln aufs Meer ruderten. Das Wetter war ungünstig - der Himmel bedeckt, ... Leseprobe