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Ein Zimmer im Haus des Krieges

Roman

Erschienen am 28.08.2006
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442751297
Sprache: Deutsch
Umfang: 319 S.
Format (T/L/B): 3 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Verstehen, nicht verurteilen: Eine Reise in das Herz des Fundamentalismus Ägypten 1993: Im Gefolge einer Serie fundamentalistischer Attentate, die seit Jahren das Land erschüttern, versucht eine kleine Gruppe islamischer Terroristen, einen blutigen Anschlag auf den Tempel von Luxor zu verüben. Unter ihnen: der junge Deutsche Jochen Sawatzky, der zum Islam konvertiert ist und sich dem bewaffneten Kampf gegen die Ungläubigen angeschlossen hat. Doch als die Attentäter den Nil überqueren, geraten sie in einen Hinterhalt von Polizei und Militär. Nur wenige überleben, darunter Sawatzky. Mit dem Fall betraut wird Claus Cismar, der deutsche Botschafter in Ägypten. Cismar, der in jungen Jahren selbst politisch radikale Ideen verfolgte und zum Sympathisantenkreis der RAF gehörte, versucht in langen Gesprächen mit Sawatzky hinter die Motive von dessen Tat zu gelangen. Je länger die Gespräche freilich dauern, desto mehr zeigt sich, dass nicht nur Sawatzkys Motive, sondern auch Cismars persönliche Werte und sein eigener Lebensentwurf auf dem Prüfstand stehen. Denn der Fall Sawatzky stellt den Botschafter vor die unangenehme Frage, wie sehr er die Ideale seiner Jugend im Interesse seiner Karriere verraten hat. Und wie sehr er selbst Teil des Systems geworden ist, das er früher gehasst hat. 'Was mich fasziniert, ist der Gedanke, daß etwas Geistiges eine derartige Kraft haben kann, daß man dafür sein Leben opfert - und gegebenenfalls auch dafür tötet.' Christoph Peters

Autorenportrait

Christoph Peters wurde 1966 in Kalkar geboren. Er ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungsbände und wurde für seine Bücher mehrfach ausgezeichnet. Christoph Peters lebt heute in Berlin. Zuletzt erschien von ihm bei Luchterhand der Roman "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" (2014).

Leseprobe

Zwischen Gebeten der Traum: Arua hat mich angeschaut. Ein langer Blick für den Bruchteil einer Sekunde. Weder Ermutigung noch Abscheu. Zwei schwarze Löcher, in denen alles verschwand. Dann schloß sie die Augen und drehte sich weg. Das Haar fiel offen über die Schultern. Sie hätte es verhüllen müssen. Trauer, von der ich wach geworden bin. Das falsche Gefühl. Zumindest nicht Angst. Um mich herum war es finster. Die Glut in der Feuerstelle gab kein Licht an den Raum. Ich richtete mich auf. El Choli stand scharf umrissen im Eingang der Höhle. Sein Maschinengewehr teilte Himmel und Landschaft. Draußen schien die Nacht ungewohnt hell. Mond beleuchtete die Bergrücken, harte Schatten von Vorsprüngen auf den Hängen. Unter der Decke hing kalter Rauch. Er steckte in Kleidern, Laken, füllte bitter den Mund. Achmed phantasierte. Jamal rang mit einem Alp. Die Luft war schwer von Ausdünstungen. Ich stand auf, tastete nach dem Teppich, schlich zum Eingang. El Choli fuhr erschrocken zusammen. Wortlos ging ich an ihm vorbei. Sein Mißtrauen folgte mir. Einen Moment lang dachte ich, er würde durchdrehen, schreien, schießen. Nichts geschah. Die Sterne leuchteten grell, ihre Anordnung ließ keine Gesetzmäßigkeit erkennen. Ich kniete nieder, legte die Hände auf den Sand, blies den Staub von den Flächen und reinigte mich. Dann breitete ich den Teppich aus und wandte mich nach Mekka. Sprich: Er ist Gott, der Eine. / Gott, der Undurchdringliche. / Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt / und da ist keiner, der Ihm gleicht. Aruas Traumgesicht löste sich nicht auf. Ich wurde nicht still. Um mich herum arbeitete der Fels, Brocken stürzten ab, Kies rutschte nach. Ich saß, ich sitze hier, versuche Kraft zu sammeln, die Gedanken zu ordnen. Sie schweifen, jagen Bilder einer Vergangenheit, die kaum noch meine ist: Mutter, fett und allein, Nüsse kauend beim Fernsehen; frühmorgens im grauen Hosenanzug, rechts die Kaffeetasse, links das Käsebrot; froh über ihre Unkündbarkeit als Finanzbeamtin im mittleren Dienst; eine Art Liebe. Der Blick von der Anhöhe auf das Rheintal, Dunst über dem Wasser, Haschischrauch im Mund, die Flasche in der Hand, Grillen, laut wie ein Güterzug. Im Rock-Café: Warten auf den Mann, der einen Zopf tragen und sich 'Falko' nennen wird. Noch ehe er sich vorstellt, weiß ich, welchen Geschmack Verrat hat. Aruas schlanke Gestalt vor der Pizzeria. Ich möchte sie nach ihrem Namen fragen und wage es nicht. Samirs Wecker klingelt. Fünf Uhr. Der Tag, auf den wir hingelebt haben, beginnt mit einem häßlichen, elektrisch erzeugten Ton, seiner siebenfachen Wiederholung, gefolgt von Echos, die sich überschneiden. Wenn alles nach Plan läuft, werden wir in acht Stunden beim Tempel sein. Gedämpfte Stimmen. Obwohl die nächsten Häuser weit entfernt liegen, wird nur das Nötigste gesprochen. El Choli beruhigt sich. Hinter ihm huschen Kegel von Taschenlampen über die Wände. Samir tritt neben ihn, prüft den Horizont. Noch herrscht Nacht. In wenigen Minuten wird das Dunkel aufbrechen. El Choli flüstert ihm etwas zu, deutet in meine Richtung. Er hält es für einen Fehler, mich mitzunehmen. Einer nach dem anderen kommen die Brüder heraus, gehen zu der Sandfläche, reiben sich den Schmutz des Schlafes vom Leib. Ich wechsle einige Sätze auf deutsch mit Karim. Er erzählt von seiner Schwester. Sie kellnert in einer Studentenkneipe. Seit dem Tod des Vaters trägt er die Verantwortung für sie und wird ihr nicht gerecht. Schon daß El Choli manchmal nicht versteht, worüber wir sprechen, erbost ihn. Samir winkt mich heran: 'Vor dem Kampf ist es wichtig, Ruhe zu finden', sagt er. 'Alle Ruhe liegt in Gott', antworte ich. Erst jetzt spüre ich die Kälte der Wüste vor Tagesanbruch. Auf meiner Haut ein Film aus trockenem Schweiß, pulverisiertem Stein. Es beginnt zu dämmern. Hinter den Bergen jenseits des Wadis verbreitert sich ein heller Streifen: die Zeit des Morgengebets. Vielleicht wird es unser letztes sein. Wir stellen uns in einer Reihe hinter Samir auf, der Heiligen Mos Leseprobe

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