Beschreibung
Mit der Preisgabe des Prinzips der Kritik wurden erziehungswissenschaftliche Theorie und pädagogische Praxis weitgehend widerspruchslos den neuen gesellschaftlichen Produktionserfordernissen ausgeliefert. Die Kritikfeindschaft der Gesellschaft ist nicht nur durch die kulturindustrielle Verarbeitung befördert, sondern auch noch dadurch erhöht worden, dass Kritikfähigkeit ausnahmslos bereits unterstellt und attestiert wird, wo sie sich als solche doch erst auszuweisen hätte. Die Verwechslung von Monieren mit Kritisieren ist der Effekt dieser Entwertung des Prinzips der Kritik gewesen. In der Erziehungswissenschaft ist dieser Entwertungsvorgang des Kritikprinzips durch seine spezifische Auslegung vorangetrieben worden: Sie versteht sich per se als kritisch, wenn sie ihrem Untersuchungsgegenstand in distanziert-"objektiver" Weise entgegentritt, sich der wissenschaftliche Gütekriterien kritisch versichert und nicht empirisch fassbare Phänomene aus ihrem Reflexionshorizont verbannt. Fast schon angefeindet werden Haltungen der Gesellschaftskritik und Selbstkritik, die Erziehungswissenschaft ermächtigen würde, ihre Funktion im gesamtgesellschaftlichen Reproduktions- und Verwertungszusammenhang zu reflektieren und zu thematisieren. Aufgabe des Schwerpunktheftes ist es, das Prinzip der Kritik für die Erziehungswissenschaft und die praktische Pädagogik zu reformulieren und neu zu explizieren. Wie Pädagogik als konkrete Kritik entwickelt werden kann, soll ansatzweise aus den einzelnen Beiträgen deutlich werden.