Beschreibung
Wie aus heiterem Himmel wird auf die Bestsellerautorin Josephine Bourdillon ein Attentat verübt. Am helllichten Tag. Auf der Intensivstation kämpft sie um ihr Leben. Eine erste Spur scheint gefunden, als die Töchter der Polizei Drohbriefe übergeben, die sich in der Fanpost der Autorin finden. Doch die Ermittlungen kommen ins Stocken. Auch die Familie rätselt, wer dieser liebenswerten, zurückgezogen lebenden Frau so etwas Schreckliches angetan haben könnte. Dabei stoßen die Töchter auf ein Ereignis, das viele Jahre zurückliegt. Aber keiner der Beteiligten will so recht über jenen besagten Sommer reden, in dem Unfassbares geschehen sein muss. Die Ereignisse von damals sind im Gedächtnis der Familie wie ausgelöscht. Liegt hier der Schlüssel für die Aufklärung des Attentats?
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Autorenportrait
Elizabeth Musser wuchs in Atlanta auf. Seit dem Abschluss ihres Studiums englischer und französischer Literatur an der Vanderbilt Universität in Tennessee ist sie als Missionarin tätig. Heute lebt sie mit ihrem Mann Paul in der Nähe von Lyon in Frankreich. Die beiden haben zwei Söhne.
Leseprobe
Kapitel 1 An einem Freitag im Oktober 2015 Asheville, North Carolina Henry Hab schon vielen Leuten das Licht ausgeknipst, aber ausgerechnet dieses Mal musste etwas schiefgehen. Und zwar so richtig. Mein Kontakt hatte mir den Zettel mit den detaillierten In- struktionen für diesen Job geschickt und ich hatte sie mir sehr genau angesehen. Und tatsächlich, die Frau kam aus der Bibliothek. Das Haus war für Halloween völlig überladen, mit Kürbissen in allen Größen und Farben, die mir in meinem Versteck Grimassen schnitten. Die Frau lief die Straße entlang, die alte Basilika im Rücken, guckte nach links und rechts und ging dann über die Haywood Street in Richtung Stadtzentrum. Kein Mensch war zu sehen an diesem Freitagnachmittag, genau, wie es auf dem Zettel gestanden hatte. Die Frau bog in die schmale Gasse ein, an deren Ende ich wartete, gleich bei ihrem Auto, ein echt schöner Mercedes war das. Jetzt, wo ich sie von Nahem sah, zögerte ich dann doch - sie sah überhaupt nicht wie eine Kriminelle aus, sondern wie eine ganz normale Frau mittleren Alters, gut aussehend dazu, mit einer schwarzen Laptoptasche. Total schnell und entschlossen war sie unterwegs, so als wüsste sie, was als Nächstes kam, und wollte möglichst schnell dorthin. Das galt vielleicht für andere Tage, aber nicht für heute. Ich hatte die Knarre im Anschlag und zielte wie geplant. Als sie mit dem Schlüssel die Tür von ihrem Mercedes aufmachen wollte, drückte ich ab. Genau in dem Moment hörte ich, wie ein Kind am anderen Ende der Gasse rief: Mrs Bourdillon! Sie haben vergessen., und die Frau drehte sich um, während die Kugel lautlos durch die Luft schnitt und sie rechts am Kopf traf, anstatt wie geplant voll von hinten in den Schädel zu donnern. Aber sie ging zu Boden und eine Blutlache entstand, während aus der Kinderstimme - ein Mädchen - ein gellender Schrei wurde. Hätte eigentlich in Panik verfallen müssen - ohne die Pillen und alles -, aber ich blieb ruhig. Drehte mich einfach um und verschwand um die Ecke durch eine Gasse zu meinem Auto. Niemand hatte mich gesehen, weil alle zu der Frau hinstürzten, und ich hätte mir schön auf die Schulter geklopft, wenn ich nicht damit beschäftigt gewesen wäre, bloß nicht auf meinen Pick-up zu kotzen. Samstagmorgen Hinterher hatte ich immer denselben Traum. Pa rief mich zu sich und wir fuhren in den Laden, wo ich zuerst eine Flasche Limonade und eine Tüte Chips kaufte, so als wäre ich irgendein stinknormaler Jugendlicher, und dann kam Pa rein, mit dem Strumpf über dem Kopf und zeigte mit der Knarre auf den verängstigten Kassierer, der aber noch so beisammen war, dass er irgendeinen Knopf unter der Ladentheke drückte, und dann kam die Polizei und pustete Pa vor meinen Augen das Gehirn raus. Mit einem Schrei wachte ich auf. Wenn es doch nur ein Traum wäre. Im Motel machte ich auf dem Weg zum Klo den Fernseher an. Ich war müde wie ein Stein. Nach jedem Abschuss gab ich mir derart die Kante, dass ich einen Filmriss hatte. Ich nannte es Abschuss wie Pa früher, als hätten wir einen Hirsch erlegt oder einen Elch anstatt einen eben noch quicklebendigen Menschen. Mein Kopf dröhnte, als hätte ich mir die Kugel eingefangen anstatt sie. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, betrachtete im gesprungenen Spiegel meine roten Augen und die Bartstoppeln, fuhr mir übers Kinn und sagte laut: So, das wäre geschafft und das Geld ist bald auf dem Konto. Rechtzeitig für die OP. Ich versuchte mich an einem Lächeln, aber stattdessen füllten sich meine Augen mit Tränen. Also spritzte ich mir noch mehr kaltes Wasser ins Gesicht. Meine kleine Reiseapotheke lag verstreut um die Toilette auf dem fleckigen Linoleum. Ich griff nach ein paar Aspirin, warf sie mir rein und holte dann Rasierer und Rasierschaum heraus. Den Wasserhahn ließ ich laufen, bis das Wasser warm wurde. Aus dem Zimmer hörte ich den Jingle der Morgennachrichten. Die TopNews des Tages: Die bekannte Romanautorin Josephine Bourdillon liegt noch immer auf der Intensivstation des Memorial Campus of Mission in Asheville und kämpft ums Überleben. Mit einem Knall landete der Rasierer im Waschbecken. Ich schnappte mir das dünne weiße Handtuch und stürzte zum Fernseher. Noch im Laufen wischte ich mir den Rasierschaum aus dem Gesicht und lauschte der Reporterin - einer jungen Blondine, die wahrscheinlich gerade erst mit der Ausbildung fertig geworden war und vor einem Krankenhaus stand. Wie es heißt, handelt es sich um einen Mordversuch. Miss Bourdillon hatte gerade die Pack Memorial-Bibliothek verlassen, wo sie wie jeden Freitag um vier Uhr nachmittags Vorschulkindern vorlas, als sie niedergeschossen wurde. Weitere Angaben machte die Polizei bisher nicht. Mein Magen krampfte sich zusammen und drückte den Alkohol und die Pizza der vergangenen Nacht nach oben. Ich rannte zum Klo und kotzte. Dann fluchte ich und brüllte viel zu laut für die dünnen Motelwände. Konnte mich aber noch gerade so davon abhalten, mit der Faust ein Loch hineinzujagen. Was jetzt, verflixt? Die zweite Hälfte, wenn die Sache erledigt ist. Per Einschreiben, wie immer, vier Tage danach. Dieselbe Stimme am Telefon, derselbe Kontakt, dieselbe Zahlung, dieselbe Versandmethode. Nur die In- struktionen kamen sonst nicht auf Papier, vor allem nicht auf Briefpapier mit kleinen Blümchen am unteren Rand. Ich fischte den Zettel aus dem Aschenbecher, in dem ich ihn eigentlich verbrennen wollte, und steckte ihn zurück in meinen Arbeitsanzug. Im Fernsehen ratterte die Reporterin die Auszeichnungen der Frau herunter, aber ich konnte nicht zuhören. Ich dachte nur: Du musst krepieren, Lady. Du musst einfach. Sonst kriege ich das Geld für Jase nicht. Tut mir leid. Aber es geht nicht anders. Samstagmittag Paige Sie lag auf dem Rücken, den Mund halb offen mit einem Schlauch darin. Ihr Kopf war auf der rechten Seite kahl rasiert, dort, wo die Kugel eingetreten war. Und jetzt sah sie aus wie eine Leiche, die man gerade erst angefangen hatte, in eine Mumie zu verwandeln. Der Kopf war bis über die Augen und kurz vor der Nase verbunden. Der Rest ihres Gesichts war extrem blass. Das forcierte Atmen mit maschineller Hilfe erinnerte mich an das Surren des Deckenventilators im Schlafzimmer meiner Eltern. Ziemlich gruselig. Ich saß neben dem Bett und starrte mit wässrigen Augen auf den Geist, der einst meine Mutter gewesen war. Meine liebenswürdige und sanfte Mutter, Mitte fünfzig, zierlich, dunkle braune Augen entweder voller Mitleid oder Fantasie oder auch ein wenig Verrücktheit. Ob sie sie je wieder öffnen würde? Koma. Dieses Wort erschütterte mich zutiefst. Ich kannte mich aus mit Komata. Es war das, aus dem die wenigsten Leute erwachten, und wenn doch, dann meist als dahinvegetierendes Wrack. Dass meine Mutter in so einer Lage war, so still, so leblos, so weit weg, wollte nicht in meinen Kopf. Gestern hatten wir wie immer den Sonnenaufgang von der Ve- randa unseres Hauses auf Bearmeadow Mountain beobachtet, diesen Blick auf die endlose Berglandschaft, die sich wie ein welliger Teppich auf beiden Seiten des Horizonts ausbreitete. Wir wohnen hier wie im Paradies, hatte Momma gesagt. Jeden Tag dürfen wir dabei zusehen, wie Gott die Berge anmalt. Im Frühjahr sahen die Berge grün und weich wie Samt aus, aber wenn der Oktober kam, wurde aus dem Samttuch ein Orientteppich aus Rottönen, Orange und Dunkelgelb. Ich blinzelte die Tränen weg. Der Kontrast zwischen der Erinnerung und diesem weißen sterilen Krankenhauszimmer, das mit völlig unnatürlichen und technischen Geräuschen und Gerätschaften vollgestellt war, ohne die meine Mutter sofort sterben würde, war kaum zu ertragen. Bevor ich am Vortag eilig zur Schule aufgebrochen war, hatte ich sie noch freudig abgeklatscht, nachdem ich ihr die letzte Fanpost einer älteren Frau vorgelesen hatte, die in Mutters Geschichten neue Hoffnung schöpfte. Ich las Mama immer Leserpost vor. Ihr Job war es zu schreiben. Und zu schreiben. Und zu schreiben. Weil sie sich mit den sozialen Medien nicht so b...