Beschreibung
Hugo Bettauers bekanntester Roman, in dem er 1922 schilderte, wie sich Wien entwickeln würde, wenn alle Juden auswandern müssten. Er griff damit den in Wien immer offensiver zutage tretenden Antisemitismus auf, glaubte aber dennoch an ein friedliches Zusammenleben der Religionen. In Österreich kommen die Christlichsozialen an die Macht und Bundeskanzler Dr. Schwertfeger, ein fanatischer Antisemit, sieht sein Volk durch die Juden beherrscht. Er bringt in der Nationalversammlung ein Gesetz durch, das alle Juden bis zum Jahresende zur Auswanderung zwingt. Das Gesetz wird von der Bevölkerung begeistert aufgenommen - und die Juden müssen das Land verlassen. Doch schon nach kurzer Zeit stellt sich Ernüchterung ein. Das Kulturleben verarmt, in den Theatern werden nur noch Werke von Ludwig Ganghofer und Ludwig Anzengruber gespielt. Viele Kaffeehäuser stehen leer oder werden in Stehbierhallen umgebaut, wo heiße Würstchen verkauft werden, Wien verdorft, alle laufen in Dirndlkleidern und Lodenanzügen herum. Nach einem anfänglichen Aufschwung geht es auch mit der Wirtschaft bergab, da der Handel stark zurückgegangen ist und sich in andere Städte verlagert hat. Inflation und Arbeitslosigkeit machen sich breit. Und sofort kippt die politische Stimmung wieder, denn die Wiener hatten sich doch erheblichen Wohlstand versprochen. Elend, Teuerung, Arbeitslosigkeit wuchsen, und die Führer waren in Verlegenheit, weil sie nicht wussten, wem sie die Schuld daran geben sollten. Bettauer zeigt auf scharfsichtige und wenig hoffnungsfrohe Weise, wie mitläuferisch und leicht manipulierbar der breite Teil der Bevölkerung ist und zu welchen Brutalitäten dieser Teil der Bevölkerung fähig ist, wenn man ihm in Aussicht stellt, bald selbst zu den Privilegierten gehören zu können.
Autorenportrait
Hugo Bettauer (18721925) geboren in Baden bei Wien, Gymnasium mit Karl Kraus, Schriftsteller und Journalist, konvertierte 1890 vom Judentum zum Protestantismus. Nach Arbeitsaufenthalten in Zürich, New York und Berlin kehrte er nach Wien zurück, arbeitete für die Neue Freie Presse und spezialisierte sich auf Romane mit sozial engagierten Themen. Er gehörte nicht nur zu den umstrittensten, sondern auch erfolgreichsten Schriftstellern seiner Zeit. "Die Stadt ohne Juden" (1924 verfi lmt mit Hans Moser) erschien 1922. 1925 wurde Bettauer in seinem Büro in Wien-Josefstadt von einem illegalen NSDAP-Mitglied erschossen. Bisher bei Milena erschienen: "Hemmungslos", "Der Kampf um Wien", "Der Herr auf der Galgenleiter", "Die freudlose Gasse".
Leseprobe
Die Einzigartigkeit dieses Romans von Übermorgen ist, dass wir aus unserer Perspektive dieses Übermorgen bereits kennengelernt haben und dass es in der Realität wesentlich entsetzlicher gewesen ist, als sich jede Fiktion auszumalen imstande war. Mit dem Bewusstsein, was gestern war, und wie es vorgestern dazu hat kommen können, sollten wir an morgen denken. (Aus dem Nachwort von Jorghi Poll)