Beschreibung
"So umfangreich wie Gregor Thum hat noch niemand die verschiedenen Aspekte jenes Erdrutsches beschrieben, bei dem eine Stadt nicht nur einem anderen Staat zugeschlagen wurde, sondern auch komplett seine Einwohnerschaft auswechselte." Westdeutscher Rundfunk »Das Buch ist Ausdruck einer Geschichtsschreibung, die ich im besten Sinne als kritisch, aufklärerisch und orientierend empfinde.« Wolfgang Thierse »...gerade für deutsche Leser eine spannende Lektüre ...« Adam Krzeminski
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Autorenportrait
Gregor Thum, 1967 in München geboren, studierte Geschichte und Slavistik in Berlin und Moskau. Er war von 1995 bis 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Viadrina in Frankfurt an der Oder. Heute lehrt er Geschichte an der University of Pittsburgh in d
Leseprobe
Landnahme Am 2. August 1945 erfuhr die Weltöffentlichkeit durch das Abschlusskommuniqué der Potsdamer Konferenz, dass sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges soeben darauf verständigt hatten, alle deutschen Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße vom Reich abzutrennen und bis auf den Norden Ostpreußens, der an die Sowjetunion gehen würde, unter polnische Verwaltung zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt amtierte in Breslau schon längst ein polnisches Stadtoberhaupt, und der Bevölkerungsaustausch war bereits in vollem Gange. Denn als sich die Alliierten über den genauen Verlauf der deutsch-polnischen Grenze noch nicht verständigt hatten und die Experten im Londoner Foreign Office wie im Washingtoner State Department damit beschäftigt waren, die wirtschaftlichen und umsiedlungstechnischen Konsequenzen der diversen Grenzvorschläge durchzurechnen, schuf die sowjetische Führung im Bund mit der von ihr installierten polnischen Regierung in der Grenzfrage bereits Fakten. Vollendete Tatsachen Schon am 20. Februar 1945 legte das Staatliche Verteidigungskomitee (GOKO) der Sowjetunion in der geheimen Militärinstruktion Nr. 7558 fest, dass - vorbehaltlich einer definitiven Entscheidung auf einer Friedenskonferenz - die Oder und die Lausitzer Neiße als polnische Westgrenze zu betrachten seien und die Rote Armee die Zivilverwaltung in den östlich davon liegenden Gebieten an die polnischen Behörden zu übergeben habe. Lediglich ein Streifen von 60 bis 100 Kilometern hinter der Front sowie Eisenbahnlinien, wichtige Brücken und andere Objekte, die bei der Versorgung der sowjetischen Streitkräfte von Bedeutung waren, seien von der Übergabe auszunehmen. Die Provisorische Regierung war ihrerseits an einer möglichst raschen Übernahme der Verwaltung aus der Hand der Roten Armee interessiert, um noch vor der Potsdamer Konferenz in den östlich der Oder-Neiße-Linie liegenden deutschen Territorien eine polnische Administration installieren zu können. Dabei hatte die Provisorische Regierung eigentlich schon mehr als genug damit zu tun, das völlig zerschlagene polnische Staatswesen von Grund auf wiederzuerrichten, jede Institution neu zu gründen und eine unübersehbare Zahl von Ämtern zu besetzen. Die Erfüllung dieser Aufgaben war umso schwieriger, als durch die Verteilung der Führungspositionen im Land schon jetzt die Weichen für die Errichtung eines sozialistischen Staates gestellt wurden. Zwar wurden die staatlichen Ämter, um den Schein einer demokratischen Allparteienregierung aufrechtzuerhalten, nach Parteienproporz zwischen den vier an der Regierung beteiligten Parteien vergeben. Doch hinter den Kulissen versuchten Kommunisten und Sozialisten, die Schlüsselpositionen allein unter sich aufzuteilen. Gleichzeitig traten sie auch untereinander in einen immer schärferen Konkurrenzkampf, bis sich die Kommunisten endgültig die alleinige Macht in Polen gesichert hatten und die Sozialistische Partei (PPS) Ende 1948 mit der Arbeiterpartei (PPR) zur Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) verschmolzen wurde. Bis dahin sollten erbitterte politische Machtkämpfe das Leben in Polen prägen und den ohnehin schon schwierigen Wiederaufbau des Landes weiter erschweren. Ernennungen nach Parteibuch und plötzliche Abberufungen von Personen, die über Nacht in Ungnade gefallen waren, fortwährende Umstrukturierung bei den Behörden und Neuaufteilung von Zuständigkeiten, wenn politische Einflusssphären neu abgesteckt wurden, schufen eine Atmosphäre der Instabilität, hievten Personen in Positionen, denen sie nicht gewachsen waren, und trugen erheblich zum administrativen Chaos bei, das in den ersten Nachkriegsjahren herrschte. Am 12. März 1945 tauchte die bevorstehende Übernahme der deutschen Territorien erstmals als eigener Tagungsordnungspunkt in den Sitzungsprotokollen des Ministerrates der Provisorischen Regierung auf. Die Rote Armee stand zu diesem Zeitpunkt bereits an der Oder und rüstete sich zu ihrer letzten Großoffensive auf Berlin. Wollte die Leseprobe