Beschreibung
Bartholomäus Grill, seit vielen Jahren Afrika-Korrespondent der 'Zeit', zeigt die tiefgreifenden Folgen des Sklavenhandels und der Kolonialherrschaft, widerlegt aber zugleich die postkolonialen Verschwörungstheorien, die alle Schuld an der Misere bei der Ersten Welt suchen. Die Hauptverantwortung liege bei den Afrikanern selbst, bei despotischen Präsidenten und plündernden Eliten. Die Modernisierung Afrikas, so Grills provozierende Kernthese, musste scheitern, weil die Afrikaner sich ihr verweigert haben.Das alte Afrika ist gestorben, das neue noch nicht geboren. Grill beschreibt einen zwischen Tradition und Moderne zerrissenen Kontinent. Die Welt im Süden der Sahara befindet sich in einem Umbruch wie Europa während des Dreißigjährigen Krieges. Staaten zerfallen, Bürgerkriege flammen immer wieder auf, Millionen von Menschen irren heimatlos umher. Aids rafft ganze Völkerschaften hin. Es könnte Jahrzehnte dauern, ehe sich zwischen Khartum und Kapstadt eine stabile Ordnung herausbildet.Afrika ist eine Welt der Widersprüche, geprägt durch die reiche Vorstellungswelt seiner Menschen, ihre sozialen Regeln und Rituale, ihre Träume und Tabus, ihre Machtstrukturen und Glaubenssysteme. Diese Welt erscheint oft roh und gewalttätig, dann wieder zeitlos heiter und gelassen. Bartholomäus Grill hat sie uns erschlossen.
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Autorenportrait
Bartholomäus Grill, 1954 in Oberaudorf am Inn geboren, studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte. Seit 1993 berichtet er als Korrespondent großer deutschsprachiger Zeitungen aus Afrika. Er veröffentlichte u.a. "Safina" (1999), eine Tierfabel für Kinder, "Gott, Aids, Afrika: das tödliche Schweigen der katholischen Kirche" (2007) sowie zuletzt "Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert" (2009). Grill lebt seit vielen Jahren in Südafrika.
Leseprobe
m afrikanischen WechselbadAnn?rungen an einen fragilen KontinentWelchen Weg sollen wir nehmen? Den nach links oder den nach rechts? Oder doch den in der Mitte? Alle Wege sehen gleich aus. Ratlos stehen wir an der Gabelung zwischen Lisala und Gemena, irgendwo im Herzen des Kongobeckens, in einem unermesslichen Waldmeer, das von namenlosen Fl?ssen durch?rt wird.Wir sind zu f?nft in unserer Reisegesellschaft. Adam, der Besitzer des Gel?ewagens, wohnhaft in Tansania, sein kongolesischer Chauffeur, der behauptet, jede Ecke seines Landes zu kennen, der Fotograf aus Paris, ein Marabut, ein heiliger Mann aus dem Tschad, der kein Wort sagt und immerzu sardonisch grinst, und, neben meiner Wenigkeit, noch eine h?bsche Strahlenschildkr?te, die dem Fahrzeughalter geh?rt. Unser Ziel, Bangui, die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, ist noch weit entfernt. Seit fr?hmorgens um sechs sind wir unterwegs und haben bis hierher knapp zweihundert Kilometer geschafft. Ungef? siebzehn Kilometer pro Stunde. Die Stra?, wenn man sie so nennen will, besteht aus Myriaden von Schlagl?chern, Schlammrillen, Kratern und Wasserlachen, die stellenweise zur Gr?? von Fischweihern angeschwollen sind; sie gleicht einem gr?nen Tunnel, der schier endlos durch den Urwald m?dert. Wir fahren in d?rigem Licht und sehen kein St?ckchen Himmelsblau. Drei Radfahrer, ein Bierlastwagen, zwei Schlangen - das sind die einzigen Begegnungen des heutigen Tages. Es ist schw?l und hei? die Luft liegt wie nasse Watte auf der Haut. Man schwitzt, der Staub verklebt die Augen, das lauwarme Wasser geht zur Neige. An jeder Kreuzung, jeder Abzweigung, jeder Wegzwille die gleiche Frage: Wohin sollen wir uns wenden? Die Landkarte gibt keine Auskunft, Wegweiser existieren nicht, der Chauffeur ist mit seinem Latein am Ende. Weit und breit findet sich kein Mensch, den wir fragen k?nnten. Jede Fehlentscheidung kann Tage kosten, denn die Pfade verlieren sich im Wald, enden an einem Sumpf oder sto?n auf einen un?berwindlichen Fluss. Sie f?hren ins Nichts oder genauer: in das, was wir f?r das Nichts halten. So wie im kongolesischen Urwald erging es mir oft in Afrika. Die Wegscheide ist ein Sinnbild der Orientierungslosigkeit: Ich f?hlte mich wie ein Elementarteilchen, das durch einen riesigen Kosmos treibt. Ich kam zum ersten Mal in ein gro?s Land, nach Nigeria, Angola oder in den Sudan, und fragte mich: Wo anfangen? Wie einen ?erblick gewinnen, wo ich doch nur ein paar Splitterchen vor Augen bekommen, nur mit einem Dutzend Leute sprechen, zwei, drei Orte besuchen werde? Ich sah ein Ritual, ein Symbol, eine Geste, h?rte eine Geschichte, erlebte eine Begebenheit und konnte das Wahrgenommene nicht einordnen oder begreifen. Es fehlten die historischen Kenntnisse, der religionssoziologische Hintergrund, das ethnographische Referenzsystem. Da stand ich dann und tat, was ein kluger Kopf einmal ?hermeneutischen Kolonialismus? genannt hat: interpretieren, hineindeuten, spekulieren. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass dabei oft Zerrbilder, Wunschvorstellungen oder Projektionen entstehen, und wir m?ssen zun?st ?ber uns selber reden, ?ber die Fallstricke der Wahrnehmung und ?ber die Interessen, die unsere Erkenntnisse leiten. Aber ich will dem ersten Kapitel des Buches nicht vorgreifen.Eine Landmasse, in der Europa zehn Mal Platz f?e, 650 Millionen Menschen, vielleicht 700 Millionen oder noch mehr, f?nfzig Staaten, Tausende von gro?n V?lkern und kleinen Ethnien, Kulturen und Religionen - ist es nicht vermessen, sich ein Urteil ?ber diesen Erdteil zu erlauben? Und muss es nicht geradezu anma?nd wirken, wenn wir ?ber das ?Wesen? der Afrikaner reden und keine einzige ihrer zweitausend Sprachen sprechen? Es ist anma?nd - auch wenn man sich seit zwanzig Jahren mit ihrem Kontinent besch?igt. Um also gleich an dieser Stelle falschen Erwartungen vorzubeugen: Dies ist kein enzyklop?sches Werk, keine Monographie ?ber Afrika, sondern die R?ckschau eines Korrespondenten, der seit 1980 versucht, diesen Kontinen Leseprobe