Beschreibung
Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 durch die stalinistische Bürokratie sind trotz zahlreicher historischer Detailstudien weder der Charakter der Oktoberrevolution noch die Degeneration und das Scheitern des aus ihr hervorgegangenen Arbeiterstaates einer breiteren Öffentlichkeit klar, obwohl die Existenz der Sowjetunion die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts in einem hohen Ausmaß geprägt hat.Nur die Schriften Trotzkis das gilt vor allem für die beiden Bände zur 'Geschichte der Russischen Revolution', die 'Permanente Revolution' und die 'Verratene Revolution' ermöglichen ein grundlegendes Verständnis des Aufstiegs, der Degeneration und des Zusammenbruchs der Sowjetunion und damit der Weltlage des gesamten vorigen Jahrhunderts.Aber Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution ist nicht nur ein geniales Werk der marxistischen Geschichtsschreibung, sondern gleichzeitig ein Stück Weltliteratur, das so manches fiktive Werk in den Schatten stellt. Der Autor beschreibt vom heutigen Standpunkt aus lange zurückliegendeEreignisse und Personen, die in der Gegenwart nur wenige Menschen ausgenommen Historiker noch kennen und einordnen können, aber seine Beschreibungen sind ungeheuer spannend und kurzweilig. In vielen Artikeln, Büchern oder Briefen finden sich Würdigungen von Trotzki als Schriftsteller.Das Werk liegt in der hervorragenden Übersetzung von Alexandra Ramm-Pfemfert vor.
Autorenportrait
1879 als Sohn jüdischer Bauern in der Ukraine geboren, schließt Leo Trotzki sich als Student der marxistischen Bewegung an. Er spielt eine führende Rolle in den Revolutionen von 1905 und 1917. Nach der Oktoberrevolution baut er die Rote Armee auf. 1923 gründet er die Linke Opposition, die den Kampf gegen die bürokratische Entartung der Sowjetunion führt, und 1938 die Vierte Internationale. 1940 wird er im mexikanischen Exil von einem stalinistischen Agenten ermordet.
Leseprobe
Leo Trotzkis »Geschichte der Russischen Revolution« gehört auch 80 Jahre nach ihrem Erscheinen zu den bedeutendsten Werken der historischen Literatur. Sie behandelt eine Epoche von ungeheurer Dynamik, die der Weltgeschichte innerhalb weniger Monate eine neue Richtung gab, das Leben von Millionen Menschen nicht nur in dem riesigen Zarenreich, sondern auf der ganzen Welt grundlegend veränderte und bis heute beeinflusst.Die Oktoberrevolution stellte, wie der britische Historiker Edward Hallett Carr feststellte, »die erste offene Herausforderung an das kapitalistische System dar, welches im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht hatte. Dass sie sich auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkriegs ereignete, teilweise als Folge dieses Krieges, war mehr als nur ein Zufall. Dieser Krieg hatte der internationalen kapitalistischen Ordnung, wie sie vor 1914 bestanden hatte, einen tödlichen Stoß versetzt und die ihr eigene mangelnde Stabilität bloßgelegt. Man kann in dieser Revolution sowohl eine Folgeerscheinung wie eine Ursache des Niedergangs des Kapitalismus sehen.«Die spätere Degeneration und Auflösung des aus der Oktoberrevolution hervorgegangenen Arbeiterstaats mindert nicht deren historische Bedeutung. Nicht zufällig war Trotzki, derselbe Mann, der die Revolution an Lenins Seite angeführt hatte und sie im vorliegenden Band so meisterhaft beschreibt, auch der erste und beharrlichste Kritiker ihrer stalinistischen Degeneration. Will man den Aufstieg und Niedergang der Sowjetunion verstehen, sind Trotzkis Werke trotz der zahlreichen seither erschienenen Detailstudien unverzichtbar. Neben der »Geschichte der Russischen Revolution« gilt dies insbesondere für die »Verratene Revolution«, seine gründliche Analyse der Ursachen und der Bedeutung des Stalinismus.Die vielfach geäußerte Behauptung, die Auflösung der Sowjetunion 1991 habe die durch die Oktoberrevolution begonnene historische Epoche beendet, sei gleichbedeutend mit dem historischen Triumph der kapitalistischen Gesellschaftsordnung oder kennzeichne sogar das »Ende der Geschichte«, hat sich als grotesker Irrtum erwiesen. Die heutige Weltlage ist durch eine tiefe Krise des globalen Finanzsystems, wachsende soziale Spannungen und zunehmende internationale Konflikte gekennzeichnet und erinnert stark an die Jahre, die der Oktoberrevolution vorausgingen. Das verleiht diesem Buch, das eine der größten revolutionären Erhebungen der Weltgeschichte schildert, heute wieder brennende Aktualität.Trotzkis Schilderung der revolutionären Periode vom Februar bis zum Oktober 1917 ist in vieler Hinsicht einzigartig. Er versteht es, die Ereignisse spannend zu erzählen undsie sowohl in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung als auch aus der besonderen Geschichte Russlands heraus verständlich und geradezu miterlebbar darzustellen. Der historische und literarische Rang dieses Werks ebenso wie seiner ein Jahr zuvor erschienenen Autobiografie »Mein Leben« wurde damals von vielen Zeitgenossen anerkannt, selbst wenn sie Trotzkis politische Ansichten nicht teilten. In zahlreichen Artikeln, Büchern oder Briefen finden sich entsprechende Würdigungen.So schrieb der bekannte amerikanische Literaturkritiker Edmund Wilson 1933 in »The New Republic« über Trotzki:In der »Geschichte der Russischen Revolution« stellt er seine Auffassung der Gesellschaft und ihrer Entwicklung meisterhaft dar. Ebenso wie Marx »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« lässt uns dieses Werk hinter dem Schattenspiel der Politik die Gruppeninteressen, kollektiven Bedürfnisse und Begehrlichkeiten erkennen, in deren Licht sich die Figuren auf der Leinwand abzeichnen, auch wenn sie ihnen selbst bisweilen gar nicht bewusst sind. Wer Trotzkis Darstellung der Geschichte gelesen hat, kann die Sprache, die Konventionen und die Ansprüche der parlamentarischen Politik, falls er sich je Illusionen darüber hingab, nie wieder mit den alten Augen sehen. Ihre Konturen verschwimmen, sie verblassen und lösen sich buchstäblich in Luft auf. Der Kampf um Ämter, das alte Spiel der parlamentarischen Debatte erscheinen müßig und überholt. An ihre Stelle tritt eine neue Wissenschaft der gesellschaftlichen Umgestaltung und Organisation, von deren Genauigkeit wir mit unseren althergebrachten politischen Programmen nur träumen konnten und die so tief in den Kulturbestand eines Volkes eindringen kann, wie dies bisher selbst in Nationen, die unter unseren »demokratischen« Einrichtungen die beste politische Bildung genossen, nicht vorstellbar war.Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der in seiner Jugend als »Roter Kämpfer« wie viele Linke der Weimarer Zeit innerhalb und außerhalb der KPD von Trotzkis politischen Ansichten recht wenig hielt, aber seine Schriften verschlang, schrieb in seiner Autobiografie »Ein Deutscher auf Widerruf«: »Ich las Trotzkis Bücher voller Bewunderung. Welch ein Schriftsteller!« In seinem Buch »Außenseiter« widmet er Trotzki ein ganzes Kapitel. Darin heißt es: »Man liest ein Buch wie Mein Leben oder das Kapitel über Zar und Zarin in Trotzkis Geschichte der Februarrevolution als authentische Literatur, die sich nahezu von der besonderen Existenz ihres Verfassers unabhängig zu machen vermochte.«Der Dramatiker Bertolt Brecht bezeichnete Trotzki als »größten lebenden Schriftsteller«. Das berichtet Walter Benjamin in seiner Schilderung eines Gesprächs, das im Juni 1931 im Café du Centre im südfranzösischen Le Lavandou stattfand. Brecht selbst hat eine Episode aus »Mein Leben« in einem Gedicht verarbeitet.Im Mai 1932 schrieb Benjamin, der sich eine Fußverletzung zugezogen hatte, seinem Freund Gershom Scholem, er verbringe die Zeit mit Trotzkis »Geschichte der Februarrevolution«: »Hat man einmal begonnen, so kann man ohnehin kaum aufstehen.« An Gretel Karplus (die Frau von Theodor W. Adorno) teilte er im selben Monat mit: »Ich habe erst die Geschichte der Februarrevolution von Trotzki gelesen und bin jetzt im Begriff, seine Autobiografie zu beendigen. Seit Jahren glaube ich nichts mit so atemloser Spannung in mich aufgenommen zu haben. Ohne jede Frage müssen Sie beide Bücher lesen. Wissen Sie, ob der zweite Band der Geschichte der Revolution Oktober bereits erschienen ist?« Im April 1933 schrieb er derselben Adressatin, dass er » von dem gewaltigen Bauernroman nun den Schlussband, den Oktober lese, wo die Meisterschaft von Kritrotz (sic) vielleicht noch größer als im ersten ist«. Auch weiteren Empfängern seiner Briefe empfiehlt er die Trotzki-Lektüre.Der surrealistische Schriftsteller André Breton, der Trotzki 1938 in Mexiko besuchte und mit ihm und dem Maler Diego Rivera ein Manifest für die Freiheit der Kunst verfasste, bewundert Trotzkis Fähigkeit, sich in andere hineinzudenken und zu -fühlen. Seine größte Anziehungskraft bestehe aber in seiner »bedeutenden intellektuellen Begabung, die in Werken wie Mein Leben oder Geschichte der Russischen Revolution zutage tritt«.Der Ökonom Fritz Sternberg, Autor eines umfangreichen Buches über den Imperialismus, führte 1934 lange Diskussionen mit Trotzki. Den Kontakt hatte Trotzkis Sohn Leon Sedow vermittelt, der in Berlin Vorlesungen Sternbergs besucht hatte. Sternberg notierte:Trotzki war einer der größten Männer unseres Jahrhunderts. Er war ein genialer Mann. Er war ein Mann der Aktion Trotzki war gleichzeitig ein großer Denker und ein genialer Schriftsteller, und das Eigenartige Einzigartige seiner Persönlichkeit ergab sich gerade daraus, dass er wie kein anderer im 20. Jahrhundert gleichzeitig ein Revolutionär, ein Feldherr, ein Denker und ein Schriftsteller war.Der französische Schriftsteller und Nobelpreisträger François Mauriac schrieb 1959 in seinen »Mémoires intérieurs« über Trotzkis Autobiografie »Mein Leben«:Ich hatte in die Autobiografie von Trotzki reingeschaut mit ein paar Hintergedanken, die, muss ich zugeben, nicht alle unschuldig waren. Die aktuelle Konjunktur in der UdSSR und das Abmontieren von Stalin hatte mich dazu gebracht, dieses dicke Buch zu öffnen. Dieser außerordentliche politische Roman (denn nie wurde die Geschichte romanhafter) hat mich einen großen Schriftsteller entdecken lassen und, glaube ich, ein Meisterwerk.An anderer Stelle heißt es:Bei Trotzki gibt es eine offensichtliche Verführung. Zunächst wundert sich der bürgerliche Leser immer, dass ein Revolutionär gemeinsame Züge mit einem gemeinen Sterblichen aufweist. Von den ersten Seiten an wurde ich gefesselt, wie mich nur Tolstoi und Gorki gefesselt haben. Wäre Trotzki nicht Aktiver in einer marxistischen Revolution geworden, hätte er seinen Platz unter den Meistern der Literatur gefunden ...
Inhalt
Vorwort des HerausgebersEinleitungVorwortDie Eigenarten der Entwicklung RusslandsDas zaristische Russland im KriegProletariat und BauernschaftDer Zar und die ZarinDie Idee der PalastrevolutionAgonie der MonarchieFunf TageWer leitete den Februaraufstand?Das Paradoxon der FebruarrevolutionDie neue MachtDoppelherrschaftDas ExekutivkomiteeArmee und KriegDie Regierenden und der KriegDie Bolschewiki und LeninDie Umbewaffnung der Partei»Apriltage«Erste KoalitionDie OffensiveDie BauernschaftVerschiebungen in den MassenSowjetkongress und JunidemonstrationSchlussbetrachtungAnhang IZum Kapitel »Die Eigenarten der Entwicklung Russlands«Anhang IIZum Kapitel »Die Umbewaffnung der Partei«Anhang IIIZum Kapitel »Sowjetkongress und Junidemonstration«
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