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Das Eigentliche

Roman

Erschienen am 29.01.2010
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783854207641
Sprache: Deutsch
Umfang: 176 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21.1 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein Roman über das deutsche Leiden an der Nazi-Vergangenheit, ganz und gar kein historischer Roman also, sondern einer über das Heute. Woher dieses Leiden rührt, ist bestens bekannt, seine Äußerungsformen jedoch sind vielfältig. Darum ist dies zugleich ein Roman über die mittleren Jahre des Lebens, über die Zeit, wenn die Gewissheit abhanden gekommen ist, dass man auf dem richtigen Weg durch die Welt geht, und es ist ein Roman über die Einsamkeit ebenso wie über die Freundschaft. Das Eigentliche ist - für jeden etwas anderes. Für Hans Frambach sind es die Verbrechen der Nazizeit, an denen er leidet, seit er denken kann. Darum ist er Archivar im Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung geworden; nur fragt er sich, ob es nicht an der Zeit für eine andere Arbeit wäre. Auch für seine beste Freundin Graziela stand die Fassungslosigkeit über diese Vergangenheit im Mittelpunkt - bis sie einen Mann kennenlernte, der sie begehrte, und fortan die Begegnung der Geschlechter im Fleische für das Eigentliche hielt; ein Konzept, an dem sie nun zweifelt. Aber kann man denn den Nationalsozialismus für alles verantwortlich machen? Eigentlich ist es doch ihre Unfähigkeit zum Glück, die Hans und Graziela zu so wunderlichen Gestalten macht. Nur sie selbst halten ihr Unglück nicht für gott-, sondern für nazigegeben. Zugleich hat auch der Staat, in dem sie leben, sein Eigentliches. Es ist das unausgesetzte Bemühen um Harmlosigkeit seiner Repräsentanten, das allen voran die Bundeskanzlerin vorführt, wenn sie jede Woche übers Internet zu uns spricht. Iris Hanika zeigt, wie die Verbrechen der Nazizeit uns bis heute in ihren Klauen halten, und übersieht dabei nicht, zu welchen Absurditäten die Professionalisierung des Gedenkens führt. Eigentlich ist unsere Hilflosigkeit angesichts dieser Verbrechen das Eigentliche.

Leseprobe

Die meisten Bewohner des Landes waren zur Zeit des Verbrechens noch gar nicht auf der Welt oder höchstens Kinder gewesen. Doch lastete die Ungeheuerlichkeit des Verbrechens ihrer Vorfahren schwer auf ihnen, und wenn sie sich dieser Ungeheuerlichkeit näherten, so erwarteten sie nie etwas anderes, als ihre Vorfahren als Verbrecher zu entlarven. Das gelang ihnen problemlos und am laufenden Band. So groß war dieses Verbrechen gewesen. So groß, daß es wirken wird bis ins siebte Glied. Dieser Zustand der permanenten Aufdeckung des Verbrechens der Altvorderen war nicht schön, doch nötig, und als er nicht mehr nötig schien, war es gar nicht mehr schön. Da besann der Staat sich auf seine Pflicht seinen Bürgern gegenüber und beschloß, ihnen diese Bürde abzunehmen, indem er das Gedenken an das Verbrechen der Vergangenheit zu seiner immerwährenden Aufgabe erklärte. Die Verpflichtung, sie zu erfüllen, wurde in Denkmäler hineingegossen, deren Zahl um so schneller wuchs, je länger das Verbrechen zurücklag. Jeder Ort, und derer waren viele, an dem das Verbrechen sich ereignet hatte, wurde in eine Gedenkstätte umgewandelt. Es wurde dieses Gedenken nicht mehr als eine bloß notwendige, sondern als die edelste Aufgabe des Staates angesehen, und nirgends war es ehrenvoller zu arbeiten als im Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung, das in der Mitte der Hauptstadt des Landes angesiedelt war, weil hier, und das war eben offiziell, das Herz des Landes schlug. (Natürlich befand sich in diesem Gebäude nur die Zentrale des Instituts; seine vielen Nebenstellen waren übers ganze Land verteilt.) So war die Dunkelheit, aus der dieser Staat vor langer Zeit hervorgekrochen war, in das hellste Licht gestellt und zu seinem Eigentlichen erklärt worden, was nur logisch war, schließlich war es der Grund seiner Gründung. Es wußten alle darum. Es war kein Geheimnis und mußte nicht diskutiert werden. Es war wirklich das Eigentliche.

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