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Halbmondwahrheiten

eBook - Türkische Männer in Deutschland - Innenansichten einer geschlossenen Gesellschaft

Erschienen am 27.07.2010, 1. Auflage 2010
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783641046668
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S., 0.41 MB
E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Der türkische Mann - ein schwaches Geschlecht

Zwölf Lebensgeschichten, die sich wie ein Mosaik aus über 40 Jahren Integrationsgeschichte zusammensetzen und Einblick in eine weitgehend geschlossene Gesellschaft geben.

In zwölf Geschichten gibt das Buch Einblick in die Lebenswelten des türkisch-muslimischen Mannes. Es behandelt die ungelösten Probleme der Integration, etwa warum Suleyman auch nach 40 Jahren in Deutschland kaum Deutsch spricht, warum Ibo den Hauptschulabschluss nicht schafft und schon dreimal vorbestraft ist. Warum Erdal seine Cousine aus der Türkei als Ehefrau akzeptiert, obwohl er sie kaum kennt. Wie Mohammed mit seiner neuen Aufgabe als alleinerziehender Vater umgeht. Und warum Mehmet als Importbräutigam nach Deutschland aufgebrochen ist.

Autorenportrait

Isabella Kroth, geboren 1980, lebt und arbeitet als Journalistin in München. 2004 erschien ihr Bestseller Scheherazades Tochter (zusammen mit Ayse).

Leseprobe

Adem war der Erste, der das Wagnis einging. Jetzt sitzt er mit gut zwanzig Männern im Kreis. Er hält ein Gläschen mit ay in der Hand und balanciert es vorsichtig über den Kopf seiner kleinen Tochter, die auf seinen Schoß klettert. Er sagt: »Es ging um meine Ehre. Meine Frau hatte sie mit Füßen getreten.« Die anderen Männer um ihn herum nicken. Sie wissen, was er meint. Einer sagt: »Frauen sind die Ehre eines Mannes. Sie haben alles in der Hand - sie können diese Ehre mehren oder sie zerstören.« Der Tee im elektrischen Samowar in der Ecke brodelt auf. Durch die große Fensterfront entschwindet das letzte Tageslicht.
Hier in einem Berliner Dienstzimmer haben sich Männer einer viel beschworenen »Parallelgesellschaft« versammelt. Männer über die pauschale Bilder kursieren: Das der türkischen Paschas, die ihre Frauen daheim schlagen und ihre Ehre bis aufs Blut verteidigen, den Gebetskranz immer bei der Hand. Das Bild der Väter, die ihre Töchter zum Kopftuch und zur Ehe zwingen und ihre Söhne in den Koranunterricht schicken. Von Patriarchen, die ihre archaischen Sitten und Gebräuche mit nach Deutschland genommen haben. Bislang klingt es in der Runde so, als würden sich Vorurteile bestätigen. Ich bin neben einer Rechtsanwältin die einzige Frau im Raum, neben etwa zwanzig Männern. Meine Anwesenheit stört ihr Gespräch nicht. Beinahe bin ich froh, mich unsichtbar fühlen zu können.
Bislang waren es vor allem Frauen als Opfer traditioneller Strukturen, die über eben diese gesprochen haben. Bücher von Zwangsehen und Ehrenmorden zementieren ein einseitiges Bild der Männer als Patriarchen, die über ihre Familien regieren. Vielleicht aber sind die Männer, die hinter diesen Frauen stehen, genauso Opfer einer patriarchalen Gesellschaft? Die türkische Soziologin Pinar Selek, die ein Buch über männliche Identitäten in der Türkei geschrieben hat, sieht den Mann als ein »ramponiertes Wesen«, dem während seiner Entwicklung nach und nach die Regeln des Patriarchats nahegebracht werden. Der Pädagoge Ahmet Toprak hat über türkische Männer der zweiten und dritten Generation in Deutschland geforscht. In seinem Buch über Zwangsheirat, häusliche Gewalt und die Doppelmoral der Ehre bezeichnet er die türkischen Männer als »schwaches Geschlecht«. Wie fühlt es sich an, den Erwartungen entsprechen zu müssen, immer stark zu sein, Orientierung zu geben, auf Traditionen zu pochen - zumal wenn man fern der Heimat lebt oder sich in Deutschland nicht zu Hause fühlt? Ich will herausfinden, wie stark oder schwach und ramponiert die »Patriarchen« wirklich sind. Hierher in die Gruppe bin ich gekommen, weil es hieß, ich könne mit Männern darüber sprechen, wie es sich anfühlt, in Deutschland zu leben, ohne wirklich angekommen zu sein. Mit Männern, die mir einen Einblick geben können in eine Gesellschaft, die in Deutschland oft als eine parallele bezeichnet wird.
Murat, der heute Abend noch wenig gesagt hat, meldet sich jetzt zu Wort: »Wir haben unsere Ehre doch selber in der Hand. Man kann da nicht nur die Frau verantwortlich machen.« Die Männer schweigen. Berkant wischt sich über die Augen. In die Gesprächspause hinein sagt er: »Ich hab meine Frau mit allem allein gelassen. Ich hab sie kontrolliert und ausgenutzt. Dann hatte sie mich satt. Sie hat mich sitzen lassen und mir vorgeworfen, ich sei ein Versager.« Einer ruft dazwischen: »Ich würde meine Frau sofort verlassen, wenn sie so was sagt.« Metin lacht auf: »Ne, du würdest sie umbringen.« Plötzlich reden alle durcheinander. Bis ein Mann, der bislang geschwiegen hat, die Stimme erhebt. Die Männer sehen zu ihm auf, auch wenn er nicht der Älteste in der Runde ist. Sie lauschen seinen Worten, was er sagt über Ehre, Stolz und Gerechtigkeit. Manchen ersetzt dieser Mann den Vater, manchen ist er ein guter Freund. Für alle ist er ein Lebensberater. Der Schlüssel zu einer Gesellschaft, von der sie das Gefühl haben, dass sie ihnen verschlossen bleibt. Sie nennen ihn Kazim-Abi, Kazim, den älteren Bruder. Es ist der Psychologe Kazim Erdogan. Er ist einer von ihnen.
Über den Berliner Psychologen Kazim Erdogan hatte eine Mitarbeiterin eines Frauenhauses gesagt, er sei einer der wenigen, der auch Männern Hilfe anbieten würde. Als ich ihn anrief, hieß es: »Kommen Sie! Sie sind herzlich eingeladen in die Gruppe.« Erdogan hat die Männer der »Parallelgesellschaft« zu sich geholt, in den Psychosozialen Dienst Neukölln, der mitten in einem Berliner Problemkiez liegt: 300.000 Einwohner, mehr als ein Drittel davon Migranten. Die Arbeitslosenquote liegt bei 23 Prozent. Ein moderner Glasbau, lange Gänge, die erste Türe links trägt die Zimmernummer 011. Hier hat der Psychologe eine Selbsthilfegruppe für türkische Männer gegründet, die jeden Montagabend tagt.
Heute Abend ist zum Beispiel Dursun, 66 Jahre, erschienen, ein Einwanderer der ersten Generation, ein ehemaliger »Gastarbeiter«. Über die viele Arbeit hatte er seine Familie vergessen. Die Kinder holte er erst spät zu sich nach Deutschland, dann überließ er die Erziehung seiner Frau. In der Gruppe hat er gelernt, wieder mit seinen inzwischen erwachsenen Kindern zu sprechen. Auch seine Ehe ist besser geworden. Der Psychologe hatte ihn nach einer Sitzung aufgefordert, seiner Frau doch einmal einen Blumenstrauß zu kaufen.

Leseprobe

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