Beschreibung
Der welthistorische Vorgang der Eroberung Amerikas fasziniert heute noch. Wie er organisiert war und welchen Dynamiken er folgte, wurde aber bislang nicht hinreichend erforscht. Vitus Huber nimmt die Verflechtung politischer und ökonomischer Anreiz- und Belohnungsschemata in den Blick und analysiert, wie Beute und ihre Verteilung die diversen Akteure, Institutionen und Praktiken der "Conquista" beeinflussten und welche Rolle hier das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit spielte. So zeigt diese Studie, wie Beute und Verwaltung, Gewaltökonomien und Staatsbildungsprozesse bei der "Conquista" in verblüffender Weise zusammenhingen. Mehr noch: Diese Zusammenhänge formten nicht nur die Eroberung Amerikas, sondern begründeten zudem ein über 300 Jahre währendes Kolonialreich.
Autorenportrait
Vitus Huber ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Fribourg.
Leseprobe
Einleitung Das Bild aus der Descripción de Tlaxcala des Mestizen Diego Muñoz Camargo zeigt die beiden bekanntesten Generalkapitäne der Conquista: Francisco Pizarro und Hernán Cortés (vgl. Abb.?1). Neben ihnen knien ein Inka und die berühmte Nahua-Übersetzerin Malinche. Um die vier Personen herum liegen Reichtümer der Neuen Welt: Goldbarren und Silbermünzen, diverse Behälter und bestickte Tücher. Über den Köpfen der Generalkapitäne steht: "Cortés offeriert Neuspanien" und "Pizarro offeriert Peru". Daraus lässt sich schließen, dass die beiden Konquistadoren dem nicht abgebildeten König Karl?V. (1516-56) die Herrschaft über die eroberten Reiche, inklusive der materiellen und personellen Ressourcen anbieten. Die fiktive Szene stellt dar, wie Cortés und Pizarro ihre Eroberungserfolge dem König als Dienst ostentativ überreichten. Es handelt sich insofern um eine typische Darstellung der Conquista, als auf die prominentesten Figuren fokussiert wird, den Indigenen eine untergeordnete Rolle zugeschrieben wird und die materiellen Schätze hervorgehoben werden. Die Darstellung lässt jedoch wichtige Aspekte aus, darunter die selbstständige Handlungsfähigkeit (agency) der Indigenen sowie die zahlreichen weiteren Akteure, Ebenen und Verteilprozesse der Eroberung. Deren Besonderheit gründet unter anderem darin, dass die Konquistadoren sich nicht als reguläre königliche Armee organisierten. Sie waren weder Soldaten noch Söldner mit einem festgelegten Sold, sondern relativ spontan zusammengestellte Gruppen junger Männer, die teils aus dem Kleinadel, hauptsächlich aber aus den mittleren Gesellschaftsschichten stammten. Sie unterstellten sich einem Anführer, dem die spanische Krone erlaubt hatte, einen Entdeckungs- und/oder Eroberungszug auszurüsten und durchzuführen. Die nötigen Mittel dazu mussten die Teilnehmer selbst in die Beutegemeinschaft einbringen. Als Belohnung für ihre Leistung, die sich an den beigesteuerten Leuten, Waffen, Tieren oder auch Schiffen und Nahrungsmitteln bemaß, hatten sie Anspruch auf einen Teil aus der Beute. Diesen teilte ihnen der Anführer in einem ersten Schritt unmittelbar zu, wobei der Krone in der Regel ein Fünftel zustand. In einem zweiten, mittelbaren Belohnungsvorgang supplizierten die Konquistadoren bei der Krone um Privilegien, Titel und Ehren. Aus ihren dazu verfassten Dienst- und Verdienstberichten (informaciones de méritos y servicios) sowie aus weiteren Quellen geht hervor, dass sie von der Krone erwarteten, für ihre Leistungen belohnt zu werden. Unter diesen Vorzeichen liest sich dieses Bild nicht nur als Demonstration von Diensten qua Beute, sondern auch als Supplikation um mittelbare Belohnungen. Berücksichtigt man den Entstehungskontext der Zeichnung, wird eine Ebene erkennbar, die nicht illustriert ist: Muñoz Camargo widmete diese Beschreibung von Tlaxcala nämlich Philipp II. (1556-98) und überbrachte sie ihm 1585 in einer Gesandtschaft, die beim König um Privilegien für den Stadtstaat Tlaxcala bat. Das Bild war somit selbst Teil einer Ostentation von Leistung, die auf königliche Gnadenerweise zielte und sich nur im Rahmen dieser bemerkenswerten gestaffelten Belohnungslogik der spanischen Expansion erklären lässt. Das führt zur Frage nach dem Einfluss der Beute auf die Conquista. Wie formte die Beute diesen welthistorischen Vorgang? Die Antwort gestaltet sich komplexer als von der Forschung bisher erfasst, denn mit der Beute ist das Problem ihrer Verteilung verbunden und dieses betrifft verschiedene Akteure, Ebenen und Prozesse mit unerwartet weitreichenden Konsequenzen. Wie prägten also Beute und ihre Verteilung die Eroberungsunternehmen vor, während und nach deren Durchführung? Wie ließen sich Beuteansprüche im Voraus vereinbaren ohne die Kenntnis, was es in den unbekannten Gebieten zu plündern gab? Wie, nach welchen Kriterien und nach welchen normativen Vorlagen und gebräuchlichen Praktiken wurde die Beute verteilt? Wie veränderte oder unterschied sich dies je nach räumlicher, zeitlicher und institutioneller Dimension? Welchen Konzeptionen von Leistung bzw. Dienst und Verdienst folgten die Belohnungslogiken? Welches Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis lässt sich darin erkennen? Wie wirkte sich die Beuteverteilung schließlich auf den kolonialen Institutionenaufbau aus? Der Forschungsstand zum Komplex der Conquista hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich entwickelt. Die latein- und US-amerikanische, teilweise auch europäische Forschung konzentrierte sich insbesondere auf Fragen zu Wahrnehmung, Kulturkontakt, lokalen Aushandlungsprozessen und indigener agency. Aufwind erhielt die Conquista-Forschung unter anderem durch die 500. Jahrestage (Kolumbus 1492, Geburt des späteren Karl?V. 1500, Nuñez de Balboas Entdeckung des Pazifik 1513) und den gleichzeitig aufkommenden Trend der transnationalen Verflechtungs- und Globalgeschichte oder der connected history. Dabei wurden neue, paradigmatisch veränderte Konzeptionen des kolonialen Gesamtzusammenhangs erzeugt - zum Beispiel durch die epistemologischen und kulturhistorischen Ansätze (spiritual conquest). Des Weiteren wurden im Bereich der teilweise massiven indigenen Beteiligung an den Gewalt- und Eroberungsakten (indian conquest) neue Forschungsresultate erarbeitet. Damit büßte der Mythos des europäischen Wunders, wonach eine nur 500-köpfige Gruppe Spanier die hunderttausenden Azteken besiegt habe, seine Überzeugungskraft ein. Außerdem sind ebendiese Azteken statt als Monolith seither als multiethnische und politisch kleinteiligere Entitäten differenzierter darzustellen. Diesen neuen, hinsichtlich des eurozentrischen Narrativs revisionistischen Ansatz versucht eine Gruppe um Matthew Restall als New Conquest History zu etablieren. Weitgehend ausgeklammert von diesem Prozess der Infragestellung alter Deutungsschemata blieben erstaunlicherweise die eigentlichen Konquistadoren, ihre Motive, die Mikrodynamik und Ökonomie ihrer Beutezüge sowie die jeweilige Organisation als Gruppe. Seit den 1960er Jahren kamen wichtige, oft prosopografisch angelegte Arbeiten zu einzelnen Sozialverbänden und Szenarien hinzu: James Lockhart erstellte die klassische Studie zu den 167 Konquistadoren, die mit Francisco Pizarro vom Inkakönig Atahualpa die größte Edelmetallbeute der gesamten Conquista (offiziell 1,5 Millionen Pesos) erpressten. José Avellaneda Navas verfasste das prosopografische Pendant der diversen Eroberungszüge im späteren Vizekönigreich Neugranada. Für Neuspanien haben verschiedene Historiker Lexika der Konquistadoren und weiterer Siedler zusammengestellt. Hier lieferte Bernard Grunberg die fundiertesten Publikationen. Im Ergebnis lässt sich so zwar der Umriss der beteiligten Gruppen im Hinblick auf ihre soziale und regionale Herkunft klarer erkennen. Die innere Dynamik der Gewaltgemeinschaften und ihre Strategien eines militärischen Ein- und diskursiven Ausschlusses der indigenen Alliierten bedürfen aber weiterer Analyse. Bisher wurde die Frage nach der Motivation und Dynamik der Konquistadoren in Handbüchern wie in großen Teilen der Forschung durch den Hinweis auf die besondere Gier nach Gold, auf chevalereske Abenteuerlust oder auf christlich-feudal geprägte Dienstmentalitäten gegenüber Gott und Krone für beantwortet erklärt. Damit sind allerdings nur Chiffren benannt, die aus zeitgenössischen Rechtfertigungs- oder Skandalisierungsdiskursen entnommen sind und vor allem durch die spanische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts konserviert wurden. Einzelne ältere Arbeiten haben dies erkannt und sich richtungsweisend mit der Motivation der Konquistadoren und den Mechanismen der spanischen Expansion beschäftigt. In der diesbezüglich aufschlussreichsten Studie bezeichnete Mario Góngora die gewinnbringende Menschenjagd für den Sklavenhandel als konstitutiven Anlass für Gruppenzusammenschlüsse. Während dieser Befund lediglich für die frühe Phase der Conquista in der Karibik und der Küstenregion von Tierra Firme zutraf, beleuchtete Góngora nebenbei die Zusammensetzung de...