Beschreibung
Gibt es einen Zusammenhang zwischen zäher Alltagspraxis und großer Umwälzung? Unter welchen Bedingungen können kleine Veränderungen revolutionäre Ausmaße annehmen und an welche Grenzen stoßen sie? Eva von Redecker plädiert vor dem Panorama ausgewählter Literaturbeispiele dafür, dem Revolutionsbegriff eine neue Gestalt zu geben. Radikaler Wandel wird in diesem Buch sozialtheoretisch erschlossen und als langwieriger Übertragungsprozess verständlich, in dem Gegenstand und Antrieb der Veränderung in eins fallen: in Praxis.
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Autorenportrait
Eva von Redecker ist wiss. Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der HU Berlin und stellvertretende Direktorin des Center for Humanities and Social Change.
Leseprobe
Vorwort In Revolutionen wird zwar alles anders, aber nicht alles neu. Wandel ergibt sich aus dem Bestehenden und zwar, so die These dieses Buchs, durch das Umfunktionieren gegebener Strukturen nach Maßgabe von Praktiken, die in gesellschaftlichen Zwischenräumen vorweggenommen und eingeübt werden. Es bedarf dieses beharrlichen Untergrunds - oder auch dieser untergründigigen Beharrlichkeit -, um sicherzustellen, dass nach Fortsetzung nicht einfach Althergebrachtes, nach Auflösung nicht einfach Leere und nach Krisen nicht einfach Lähmung herrscht. Die Praxis der Zwischenräume wird dabei aber nicht zum neuen Subjekt der Revolution erklärt - also zu dem, was die Revolution macht. Anders als Bücher, für die trotz aller Vielstimmigkeit und aller Kollektivarbeit doch eine Autorin verantwortlich zeichnet, werden Revolutionen überhaupt nicht "gemacht". Sie entstehen aus Konstellationen von Bedingungen, die niemand steuert. Etwas nicht zu steuern, heißt aber nicht, dass man es nicht (besser) verstehen könnte. Dieses Buch verwendet gut 250 Seiten darauf, Konstellationen radikalen Wandels sozialtheoretisch zu bestimmen und schließlich auf den der antiken Rhetorik entlehnten Begriff der Metalepsis zu bringen. Gemeint ist damit ein verkehrendes Ineinandergreifen - in diesem Fall von abseitiger Praxis und bedingenden Strukturen -, das einen Übergang ermöglicht. Mit Doktorarbeiten vollziehen Wissenschaftlerinnen den Übergang in die akademische Gemeinschaft. Die tradititionellen Rituale, die damit - trotz aller neoliberalen Einebnung - immer noch verbunden sind, stiften bemerkenswerte Verwandtschaftsverhältnisse: auf die Adoption durch Doktormütter oder -väter folgt die Entstehung eines Werkes. Wie Nonnen nach bestandenem Novizat in einer symbolischen Zeremonie der Eheschließung in die Klostergemeinschaft aufgenommen werden, wird die Promovendin durch die Disputation Teil der Wissenschaftsgemeinde. Als deren Mitglied steht sie schließlich vor der Aufgabe, die Offerte wieder weltfähig zu machen und von einer Qualifikationsschrift in ein Buch zu verwandeln - nicht zuletzt, um sich anschließend von dem Gesellenstück trennen und neuen Forschungsfeldern zuwenden zu können. Ich staune immer noch, dass dies gelungen sein soll. Und es ist ein ganz einfacher und überhaupt nicht neuer Begriff, auf den mich dieses Staunen bringt: Dankbarkeit. Mit der Würdigung all der Hilfe, Ermutigung und Herzlichkeit, die mich durch die letzten Jahre getragen haben, ließen sich ihrerseits leicht 250 Seiten füllen. Ich hoffe, dass meine Dankbarkeit viele über die folgenden Passagen hinausreichende Ausdrucksmöglichkeiten finden wird und beschränke mich auf den Versuch, den Anteil derer zu benennen, ohne die dieses Buch schlichtweg nie geschrieben worden wäre. Rahel Jaeggi danke ich als Betreuerin der diesem Buch zugrundeliegenden Dissertation: Für die grandiose Mischung aus vorbehaltloser Begeisterung für das Projekt im Allgemeinen und gehöriger Skepsis gegenüber fast allen seinen besonderen Hypothesen. Gerade das, wovon ich mich über weite Strecken der Promotion maßlos überfordert gefühlt habe - immer schon als die philosophische Dialogpartnerin angesprochen zu werden, die ich doch durch die Arbeit an der Qualifikationsschrift überhaupt erst allmählich zu werden gedachte -, erscheint mir im Nachhinein als die großzügigste Gabe. Es gibt also Lernprozesse. Rahel als Chefin danke ich für das inspirierende und sich ständig bereichernde Umfeld, sowohl an der Humboldt-Universität als auch vorübergehend an der New School, New York, in dem ich Kooperationen, Herausforderungen und Freundschaften finden konnte, wie es sie in dieser Dichte wohl nur in wenigen intellektuellen Zentren gibt - dieser Dank gilt zugleich meinen wunderbaren Kolleg_innen am Lehrstuhl. Schließlich danke ich Rahel für tiefe persönliche Vertrauensbeweise und dafür, den Elfenbeinturm mit so sprudelnder Lebendigkeit zu füllen, dass ich nie dazu gezwungen war, kostbare Zeit mit Grübelei darüber zu verschwenden, ob ich am richtigen Ort sei. Raymond Geuss danke ich für die Zweitbetreuung und zunächst überhaupt einmal dafür, dass er sich dazu durchringen konnte, diese kurz vor Emeritierung doch noch zu übernehmen. Das Semester, das ich schreibend in Cambridge verbrachte, sicherte das Rückgrat der gesamten Arbeit. Die Gründlichkeit und Unbestechlichkeit, mit der Raymond sich auf meine Ideen einließ, war eine unschätzbare Hilfe; zu danken habe ich außerdem für eine unvergessliche Nachhilfestunde in Altgriechisch, die mir dazu verhalf, meinem eigenen Grundbegriff zu vertrauen, sowie für Beratung und Ermutigung in der Überarbeitung des Buchmanuskripts. Die enorme Hilfe, nahezu das gesamte Manuskript zu lesen, haben mir in der Dissertationsversion Daniel Loick, in der Buchversion Lukas Kübler und in den prekären Zwischenstufen Lea-Riccarda Prix gewährt; alle drei bilden auch als Diskussionspartner_innen einen unersetzlichen Bestandteil meines philosophischen Horizonts. Für Lektüre, Kritik und Verbesserung einzelner Teile danke ich Judith Butler, Robin Celikates, Lucy Duggan, Antke Engel, Sophia Ermert, Aurélie Herbelot, Leonie Hunter, Matthias Mader, Tobias Matzner, Judith Mohrmann, Johanna M. Müller, Katrin Pahl, Sophie von Redecker, Isette Schuhmacher, Margarete Stokowski und Selana Tzschiesche. Einzelne Kapitel und deren Vorformen haben davon profitiert, in folgenden Zusammenhängen diskutiert worden zu sein: In mehreren Workshops mit Nancy Frasers Einstein-Gruppe; in der Lebensformen/formes de vie-Veranstaltungsreihe, die Estelle Ferrarese in Paris und am CMB Berlin organisiert hat; bei Antke Engels zehnjährigem Jubiläum des Instituts für Queer Theory; einmal im Colloquium für feministische Philosophie an der HU (Mikkola), zweimal im Sozialtheorie-Colloquium in Jena (Rosa/Strecker, Rosa/Reitz) und einmal im Politische-Theorie-Colloquium in Bremen (Nonhoff/Vogelmann). Dem Sozialphilosophie-Colloquium an der HU danke ich für viel mehr als für die zwei Sitzungen, in denen ich vorstellen durfte: für eine konstante intellektuelle Basis. Für die Einladungen in Institutscolloquien oder Vorlesungsreihen, in denen ich Material aus diesem Buch vorgetragen konnte, danke ich Sarah Bufkin (Oxford), Alice Crary (New York), Christine Hauskeller (Exeter), Hilge Landweer und Christine Kley (FU Berlin), Christian Thies (Passau), Adriana Zaharijevi? (Belgrad) und der Philosoph*innengruppe (Frankfurt a.?M.). Hilfreiches Feedback habe ich auch von Konferenzen in Prag, New York, Nisyros, Erlangen, Hannover, Genf, Zürich und Dresden mitgenommen. Eine Sonderstellung nimmt mein allererster mit der Revolutions-Thematik befasster Vortrag auf der Frankfurter Graduiertenkonferenz 2010 ein. Ich danke dem Schicksal dafür, in einem Panel mit Bini Adamczak und Daniel Loick gelandet zu sein - für alles weitere Bini und Daniel. Für die erfreuliche Zusammenarbeit mit dem Campus-Verlag und ein fantastisches, wenn auch notgedrungen fragmentarisches Lektorat danke ich Isabell Trommer. Gute Ratschläge und Rückenstärkungen an entscheidenden Stellen - zum Teil auch durchweg -, sowie institutionelle oder editorische Einsichten verdanke ich: Elisabeth Bonsen, Antke Engel, Estelle Ferrarese, Iwona Janicka, Patricia Purtschert, Martin Saar, Margarete Stokowski, Sabine Lammers, Sidonia Blättler. Das entscheidende enge im weiteren Umfeld bestand aus Isette Schumacher, Johanna M. Müller, Lea-Riccarda Prix und Hilkje Hänel. Ihr habt das wirkliche Kunststück vollbracht, nicht nur die intellektuellen Bedürfnisse besser zu versorgen als irgendjemand sonst, sondern nebenbei auch noch alle anderen im Blick zu behalten. Die ungeheure Nachfrage nach Lehre in der praktischen Philosophie und Kritischen Theorie an der HU-Berlin - mit Seminargrößen von bis zu 100 Teilnehmer_innen -, habe ich oft als einen der Gründe dargestellt, die das Schreiben dieses Buchs erheblich erschwert haben. Dialektische Kontextualisierung, so würde ich es im Seminar zu erklären versuchen, erlaubt ...