Beschreibung
Die Abgehobenen: Eliten höhlen die Demokratie aus Die Eliten werden immer mehr zur geschlossenen Gesellschaft. Das gilt nicht nur für die Wirtschafts-, sondern zunehmend auch für die politische Elite. Ihre Lebenswelten und die der Bevölkerung driften seit Jahrzehnten auseinander. Sie glauben, dass für sie eigene Regeln gelten und produzieren einen Steuer- und Finanzskandal nach dem anderen. Der renommierte Elitenforscher Michael Hartmann benennt die Folgen: Politikverdrossenheit und Rechtspopulismus. Die einen schimpfen auf "die da oben", andere auf das Elitenbashing. Dabei lohnt es sich, genau hinzusehen: Wer sind die Eliten? Wie erneuern sie sich? Wie hängen ihre Haltungen und ihre Herkunft zusammen? Hartmanns Befund: Die Eliten sind ein abgehobener Selbstrekrutierungsbetrieb, der die Demokratie aushöhlt. Nur durch eine durchgreifende soziale Öffnung der politischen Elite ist eine Wende möglich. Michael Hartmann, renommierter Elitenforscher, setzt mit seinem Buch ein klares politisches Statement zu einem brisanten Thema mit gesellschaftlicher Sprengkraft.
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Autorenportrait
Michael Hartmann ist Deutschlands renommiertester Elitenforscher. Er steht für die These, dass Herkunft maßgeblich über den Erfolg entscheidet. Bis Herbst 2014 war Hartmann Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Bei Campus sind von ihm mehrere Bücher zum Thema Elite erschienen, zuletzt "Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende" (2016).
Leseprobe
1. Einleitung: Parallelwelt mit eigenen Regeln Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Begriff "Elite" für Jahrzehnte weitgehend aus der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit verschwunden. Seine erste wirkliche Renaissance erlebte er nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Da wurde plötzlich nicht nur in den Medien, sondern auch von Politikern und Wirtschaftsvertretern1 eine Rückbesinnung auf die Vorzüge von Eliten verlangt und in dieser Frage von den Eliten ein auch offen zum Ausdruck gebrachtes Selbstbewusstsein eingefordert. Deutschland war nach dem Ende des Viermächtestatuts wieder eine der wichtigen und auch politisch uneingeschränkt handlungsfähigen Mächte der Welt. Große Teile der herrschenden Eliten glaubten deshalb, man könne und müsse die Skrupel gegenüber dem Elitebegriff, die aus den Verbrechen der Nazizeit herrührten, nun endlich ablegen. Das sei jetzt endgültig Vergangenheit. Wie Briten, Franzosen oder US-Amerikaner das schon immer handhabten, solle man nun auch als Deutscher wieder offensiv zur Notwendigkeit und Bedeutung von Eliten stehen. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand diese Entwicklung in der Exzellenzinitiative für den Hochschulbereich. Man verzichtete zwar seitens der politisch Verantwortlichen letztlich offiziell auf den Begriff "Elite", um die gesamte Initiative nicht durch die Wahl eines Begriffs zu gefährden, der bei der Basis von SPD und Grünen als umstritten galt. Dennoch war der Titel "Eliteuniversität" schnell in aller Munde. "Elite" war zumindest in der medialen Öffentlichkeit wieder zu einem überwiegend positiv besetzten Begriff geworden. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise war diese positive Wende knapp zwei Jahrzehnte später schon wieder vorbei. Hatten die rasant angestiegenen Managergehälter und einzelne Skandale um Steuerhinterziehung bereits vor 2008 immer wieder für skeptische Stimmen gesorgt, schlug die Stimmung nach der Finanzkrise auf breiter Front um. Für viele Menschen war mit der Krise das zentrale Versprechen der herrschenden Eliten und die wesentliche Begründung ihrer neoliberalen Politik, dass letztlich alle von der durchgreifenden Liberalisierung der Märkte profitierten, widerlegt oder zumindest stark infrage gestellt. Dementsprechend ist in großen Teilen der Bevölkerung das Ansehen der Eliten massiv gesunken und stellenweise sogar richtige Wut gegen sie aufgekommen. Getrennte Lebenswelten Für die Eliten selbst ist diese Entwicklung nicht nachvollziehbar. Sie halten die herrschende neoliberale Politik im Kern nach wie vor für alternativlos und führen die negative Haltung weiter Bevölkerungskreise ihnen gegenüber in der Regel auf Unwissen und fehlgeleitete Emotionen zurück. Die tatsächlichen Ursachen bleiben ihnen damit verborgen. Der frühere Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat den entscheidenden Grund für diese Fehleinschätzung Anfang November 2017 in einem Interview mit der Zeit folgendermaßen formuliert: "Schon heute glauben viele Bürger nicht mehr, dass unser Gesellschaftssystem alle gleichermaßen behandelt. Das ist der Hauptvorwurf, den ich den sogenannten Eliten mache: Diesen Leuten fehlt jegliches Verständnis dafür, was ihr Tun in der Gesellschaft auslöst. Die Ignoranz ist enorm."2 Obwohl verwundert, dass ausgerechnet Steinbrück von solcher Ignoranz spricht, der selbst als ausgesprochen abgehobener Politiker gilt - man erinnere sich nur an seine Wahlkampfauftritte 2013 -, so trifft er doch den Kern der Sache. Die Eliten sind in ihrer großen Mehrheit inzwischen so weit von der breiten Bevölkerung entfernt, dass sie zunehmend Schwierigkeiten haben, deren Probleme zu erkennen und die Folgen ihrer Entscheidungen für die Bevölkerung zu verstehen. Ende 2017 zeigte sich das wieder bei der Entscheidung des Siemens-Vorstands, ungefähr 3?500 Stellen in Deutschland zu streichen und dabei drei Werke in Thüringen und Sachsen zu verkaufen oder zu schließen, darunter ausgerechnet das in Görlitz, wo die AfD bei der Bundestagswahl ein Direktmandat gewonnen hat. Die soziale und politische Brisanz dieser Pläne bei einem gleichzeitigen Gewinn von über 6 Milliarden Euro und einer Dividendenausschüttung von 3 Milliarden war dem Vorstand offensichtlich entweder nicht bewusst oder aber egal. Die öffentlichen Reaktionen des Vorstandschefs Joe Kaeser, etwa auf die Kritik des damaligen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz, sprechen eher für die erstgenannte Variante. Er argumentierte zumeist rein betriebswirtschaftlich mit den Zwängen des Marktes und berücksichtigte die sozialen und politischen Konsequenzen überhaupt nicht. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2018 sprach er in Bezug auf Görlitz dann sogar davon, dass so etwas angesichts der zu erwartenden Auswirkungen der Digitalisierung "eher als Randnotiz gewertet werden" müsse. Dazu passt dann auch die Bemerkung Kaesers auf einer Pressekonferenz, in der er zur zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich erklärte: "Das passiert im Wesentlichen deshalb, weil viele Arbeitnehmer nicht an der Vermögensbildung durch Aktien teilnehmen." Die völlige Entfremdung von der Lebenswirklichkeit der Durchschnittsbürger, geschweige denn des ärmeren Teils der Bevölkerung, ist bei solchen Äußerungen unübersehbar. Die Lebenswelten von Eliten und Bevölkerung haben sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter voneinander entfernt. Das hat in erster Linie mit der enormen Spreizung der Einkommen und Vermögen zu tun. Alle Mitglieder der Eliten verfügen, selbst wenn man den Kreis großzügig definiert, mindestens über ein fünfstelliges Monatseinkommen und gehören damit zum obersten Prozent der Einkommensbezieher. Außerdem verfügen sie in der Regel auch über deutlich überdurchschnittliche Vermögen. So können sie dort Immobilien kaufen beziehungsweise mieten, wo es für die Normalbevölkerung zu teuer ist, oder ihnen gehören solche Immobilien bereits. Sie sind nicht die Opfer der in allen Ballungsräumen rasant voranschreitenden Gentrifizierung der Wohnquartiere, sondern eher ihre Nutznießer. Ihre Alltagswelt bewegt sich damit auch räumlich immer weiter von der der breiten Bevölkerung weg. In anderen Fragen wie etwa bei gesundheitlichen Problemen oder bei der Ausbildung ihrer Kinder stehen ihnen ebenfalls Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, die die meisten Menschen hierzulande nicht haben. Privatschulen spielen beim Schulbesuch allerdings nicht die Rolle, die ihnen in den Medien oft zugeschrieben wird. Von den Kindern der 2012 interviewten Elitenmitglieder waren gerade einmal acht auf einem Internat im In- oder Ausland und auch nur weitere 14 auf einer anderen Privatschule, vor allem Waldorfschulen, insgesamt ein verschwindend geringer Prozentsatz. Auch die Anzahl der auf britischen Internaten weilenden deutschen Schüler ist entgegen allen Meldungen interessierter Vermittlungsagenturen über die Jahre hinweg ziemlich stabil bei um die 2?000 geblieben. 2015 waren es von 27?200 ausländischen Schülern dort gerade einmal 1?930.3 Weit wichtiger ist in dieser Hinsicht, dass die Elitenmitglieder in den wohlhabenden Vierteln einer Stadt wohnen, die Kinder dementsprechend auf die besseren Grundschulen kommen, danach so gut wie immer auf ein Gymnasium gehen und die Eltern bei der Wahl eines Gymnasiums über die Qualität der infrage kommenden Gymnasien Bescheid wissen. Dasselbe gilt später auch bei der Wahl der Hochschule. Man kennt sich einfach aus. Die aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien stammenden Elitenmitglieder, das heißt fast zwei von drei, verfügen außerdem nicht nur über hohe Einkommen und Vermögen aufgrund der eigenen Spitzenposition, sondern zusätzlich auch über ererbtes familiäres Vermögen. Nach einer Schätzung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge geht ein Drittel aller Erbschaften in Höhe von über 300 Milliarden Euro pro Jahr an die oberen 2 Prozent.4 Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet in einer neuen Studie sogar mit 400 Milliarden Euro pro Jahr. Das mittlere Erbvolumen für das obere Fünftel schätzen die Autoren a...