Beschreibung
'Neue Kriege', 'kleine Kriege', 'hybride Kriege', 'asymmetrische Kriege' - in den vergangenen Jahren hat sich die Sicht von Historikern und Politikwissenschaftlern auf das Phänomen Krieg, das die Menschheit seit ihren Anfängen begleitet, erheblich gewandelt. Andreas Herberg-Rothe zeichnet in dieser grundlegenden, nun in 2., erheblich erweiterter Auflage erschienenen Einführung ein umfassendes, vielfältiges Bild des Krieges: Er stellt Ursachen, Formen und Akteure des Krieges vor, aber auch Aspekte wie die Eskalation von Gewalt im Krieg, das Töten im Krieg und die Opfer von Kriegen. Immer wieder nimmt er dabei ausführlich Bezug auf die neuen Kriege, die uns im 21. Jahrhundert drohen. 'Ich wüsste aktuell keine deutschsprachige Darstellung, die ähnlich vielfältig und gedankenreich das Thema Krieg in so knapper Form bewältigt.' Süddeutsche Zeitung 'Eine hervorragende Einführung in die Thematik' Die Zeit
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Autorenportrait
Andreas Herberg-Rothe, Dr. phil. habil., ist Dozent am Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Fulda.
Leseprobe
1 Einleitung "Krieg ist der gewaltsame Kampf von Gemeinschaften." (Andreas Herberg-Rothe) Mit dieser von Clausewitz abgeleiteten Definition können alle Kriege erfasst werden. Sämtliche Kriege in Geschichte und Gegenwart weisen diese drei Tendenzen auf. Alle Kriege unterscheiden sich hinsichtlich der Form der angewandten Gewalt, der Art des Kampfes und der jeweiligen Gemeinschaft, die diesen Krieg bzw. einen solchen in deren "Namen" führt. Hierbei verwende ich bewusst die Konzeption der Gemeinschaft und nicht die der Gesellschaft, weil Gesellschaften im Krieg die Tendenz entwickeln, zu Gemeinschaften zu werden. "Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Fall seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach, in Bezug auf die in ihm herrschenden Tendenzen, eine wunderliche Dreifaltigkeit." Mit diesen Worten leitet Carl von Clausewitz, der bis heute bedeutendste Theoretiker des Krieges und der Kriegführung, seine abschließenden Überlegungen zur "wunderlichen Dreifaltigkeit" als Theorie des Krieges ein. Sie bilden die Grundlage der hier entwickelten Definition. Diese drei Tendenzen der "wunderlichen Dreifaltigkeit" sind die ursprüngliche Gewaltsamkeit des Krieges, der Kampf zwischen zwei oder mehreren Gegnern sowie die untergeordnete Natur des Krieges als eines politischen Werkzeuges. Im Gegensatz zu gängigen Interpretationen erschöpft sich Clausewitz' politische Theorie des Krieges daher keineswegs in seiner berühmten Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Vielmehr betont er mit seiner dialektischen Konzeption der wunderlichen Dreifaltigkeit1 die Wandelbarkeit des Krieges, seinen chamäleonhaften Charakter (Clausewitz 1991, 212f.). "Dies ist kein Krieg mehr": Diese Aussage Lord Kitcheners wiederum, getätigt als Oberbefehlshaber der englischen Streitkräfte mitten im Ersten Weltkrieg, verdeutlicht grundlegende Probleme mit dem leidvollen Phänomen Krieg (zit. nach Stephan 1998, 133). Im Grunde wird damit der unaufhebbare Widerstreit (Jean-François Lyotard), aber auch das Zusammenspiel von Rationalität und dem Irrationalen des Krieges zum Ausdruck gebracht, da Gewalt sich in einem bestimmten Maße der Vernunft entzieht, sie aber im Krieg zugleich zweckrational eingesetzt werden soll. Ihre drastischste Verkörperung fand diese paradoxe Konstruktion wohl im atomaren Wettrüsten des Kalten Krieges in der Rationalität der irrationalen Drohung mit dem kollektiven Selbstmord und der Selbstvernichtung der Menschheit. Im Regelfall müssen wir jedoch zwischen der Rationalität und der Irrationalität ein drittes Moment bezüglich des Krieges einführen, das arationale Handeln, das weder rein rational noch rein irrational ist, sondern einer "anderen Rationalität" folgt. Die Rationalität des Krieges wird von Clausewitz in einer Hierarchie von Zweck, Ziel und Mitteln bestimmt, während für seine wunderliche Dreifaltigkeit eine fließende Balance dieser drei Aspekte kennzeichnend ist (Herberg-Rothe/Son 2018). Diese ist nicht rein zweckrational bestimmt, sondern folgt einer solchen anderen Rationalität. Eine Kriegführung, die einen der drei Aspekte verabsolutiert und sie voneinander trennt, ist für Clausewitz irrational (Herberg-Rothe 2007). Besonders Kategorien wie der Kampf auf der Basis von Ehre und der Wettstreit um Anerkennung folgen solchen arationalen Mustern (Herberg-Rothe 2007). In der historischen Entwicklung hat es immer wieder Zäsuren in der Kriegführung gegeben, die den Zeitgenossen als umwälzend und revolutionär galten, während sie den Nachkommen als bloße Fortentwicklungen des Krieges erschienen. Nach dem Interventionskrieg gegen den Irak von 1991 plädierte man sogar für die "Abschaffung des Krieges". Gemeint war jedoch, dass solche "Polizeiaktionen" nicht mehr mit dem Begriff des Krieges belastet werden sollten (Osiander 1995). Auch in der Gegenwart gehen einige Politikwissenschaftler (Münkler 2002; Kaldor 2000) von einem grundlegenden Bruch in der Kriegsgeschichte aus, dem zwischen alten und neuen Kriegen nach den Epochenjahren um 1989 und dem Ende des Wettrüstens zwischen Ost und West. Noch nicht absehbar ist jedoch, ob es sich hierbei um eine wirkliche Zäsur in der Kriegsgeschichte handelt oder ob das "Chamäleon Krieg" sich den neuen weltgesellschaftlichen und technologischen Bedingungen anpasst. Wir wollen in dieser Einleitung auch nicht in die Diskussion eintreten, wie neu oder "uralt" die sogenannten neuen Kriege tatsächlich sind, sondern uns auf den Wandel des Krieges beschränken (Geiß 2006). Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Begriff der "Neuen Kriege" lediglich eine besondere Form des Krieges zum Ausdruck bringt. Nicht alle neuen, im Sinne von gegenwärtigen und zukünftigen Kriegen gehören zu dieser Kategorie. Durch die geschickte Verwendung des Begriffs "neu" wird suggeriert, dass alle gegenwärtigen Kriege unter diese Kategorie fallen, während sie lediglich einen eng begrenzten Teil des gegenwärtigen Kriegsgeschehens ausmachen.2 Genau genommen sind die "Neuen Kriege" ausschließlich neue Bürgerkriege. In der Konzeption der "Neuen Kriege" sind diese gekennzeichnet durch den Verfall von Staatlichkeit und das Überhandnehmen privatisierter Gewalt, das Auftreten scheinbar längst untergegangener Waffenträger wie Söldner, Kindersoldaten und Warlords sowie durch Kämpfe um Identität, Bodenschätze und grundlegende existentielle Ressourcen wie etwa Wasser. Ihr äußeres Signum ist das vermehrte Auftreten irrational scheinender und exzessiver Gewalt (Selbstmordanschläge, Formen von Mega-Terror wie bei den Anschlägen vom 11. September 2001) und von Massakern linker wie rechter, islamistischer oder sonstiger religiöser Bewegungen. Sichtbar werden sie auch im Umschlagen von nachbarschaftlichen Beziehungen in den "Kampf aller gegen alle" in ethnisch überformten Konflikten. Die "Neuen Kriege" und das Auftreten massenhafter innerstaatlicher Gewalt sind jedoch nur die eine Seite. Die andere ist charakterisiert durch eine technologische Revolution, die nur mit der Einführung der Motorkraft in der Kriegführung, vor allem von Panzern und Flugzeugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vergleichbar ist. Symbole dieser megatechnologischen Kriegführung sind die Cruise missiles, die "an der Ampel rechts abbiegen", um zielgenau den Lüftungsschacht eines gegnerischen Bunkers anzufliegen, sowie die militärische Nutzung des Weltraums. In Verbindung mit der Computertechnologie ermöglicht sie es, dass die sich unmittelbar im Kampf befindenden Soldaten sich nahezu zeitverlustfrei mit ihrer militärischen Führung vernetzen können. Die durch die Einpflanzung von Chips noch zu steigernde direkte Vernetzung von Mensch und Maschine führt vom Soldaten der industrialisierten Massenheere des 20. Jahrhunderts über Berufsarmeen zum technologischen Krieger des 21. Jahrhunderts - und möglicherweise zu robotischer Kriegführung durch automatische Systeme oder solche künstlicher Intelligenz. Ursprünglich als Reaktion auf die Weigerung der westlichen Gesellschaften gedacht, Opfer auf der eigenen Seite oder der gegnerischen Zivilbevölkerung zuzulassen, verändert diese "Revolution in Military Affairs" (RMA) die bisherige Kriegführung fundamental. Besonders die neueste Entwicklung miniaturisierter Atombomben, die gegen gegnerische Bunkersysteme eingesetzt werden sollen, kann die bisherige Grenze zwischen konventioneller und atomarer Kriegführung durchlässig machen. Verstärkt wird diese Problematik durch die Versuche einer Reihe von Staaten und zum Teil von terroristischen Organisationen, in den Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen zu gelangen. Hierzu zählen auch die Drohnenkriege, die Nutzung des Cyberspace sowie zunehmend automatisierte Systeme der Kriegführung. Der gegenwärtige waffentechnologische Wandel begründet zum Teil den Übergang von Wehrpflicht- zu Berufsarmeen, weil in einer relativ kurzen Ausbildungszeit nicht mehr die notwendigen Kenntnisse und...