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Klio dichtet nicht

Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Althistorie, Campus Historische Studien 69

Erschienen am 07.11.2013, 1. Auflage 2013
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593399546
Sprache: Deutsch
Umfang: 402 S.
Format (T/L/B): 2.3 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

InhaltsangabeInhalt Einleitung 7 Unterschätzte Ahnen: Forschungen zur römischen Geschichte zwischen Humanismus und Aufklärung14 Ein Autodidakt revolutioniert die Geschichtsschreibung: Edward Gibbon und das Römische Reich35 Das Glaubensbekenntnis des Historikers: Edward Gibbon, das antike Christentum und die Anglikanische Kirche62 Barthold Georg Niebuhr - ein schwieriger Gründervater93 Von den >Altertümern< zur >Kulturgeschichte<134 >Hellenismus< von Droysen bis Harnack - Eine uneingelöste Ankündigung und interdisziplinäre Missverständnisse149 Historiographie und politisches Engagement - Droysen im Vergleich mit Grote und Palacký177 Der "antiquarische Bauplatz" - Theodor Mommsens Römisches Staatsrecht235 Die Unproduktivität der Sklaverei: Christen, Nationalökonomen, Marx und Weber278 Literatur317 Verzeichnis früherer Publikationen393 Namensregister395

Autorenportrait

Wilfried Nippel ist Professor für Alte Geschichte an der HU Berlin.

Leseprobe

Einleitung In den 1970er Jahren sah sich die Geschichtswissenschaft durch die Thesen des amerikanischen Literaturhistorikers Hayden White herausgefordert, der Geschichtsschreibung als eine Form der Narration verstand, die sich auf eine begrenzte Zahl rhetorischer Muster reduzieren lasse. In Deutschland fand die Debatte über Whites Thesen mit Zeitverzögerung statt. Seine Sammlung theoretischer Aufsätze, Tropics of Discourse (1978), war 1986 in deutscher Fassung mit dem Haupttitel, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen, erschienen; seine Monographie Metahistory von 1973, in der er seine Thesen auf große Historiker und Geschichtsphilosophen des 19. Jahrhunderts angewendet hatte, erschien in deutscher Übersetzung erst 1991. Obwohl niemand bestritt, dass Historiographie, jedenfalls soweit Geschichte erzählt wird, auch eine Literaturgattung ist und mit den gewählten Erzählstrategien auch bestimmte Interpretationen vermittelt werden, war man sich doch schnell einig, dass es das Ende von Geschichtswissenschaft wäre, wenn der Anspruch aufgegeben würde, dass es um eine auf Quellen gegründete, intersubjektiv nachvollziehbare Rekonstruktion von Vergangenheit gehen müsse. Frappierend war, dass sich White, da jeglicher historischer Forschungspraxis abhold, als unfähig erwiesen hatte, die von ihm behandelten Geschichtswerke wirklich zu analysieren, so dass sich die vorgenommene Zuordnung zu den Darstellungsformen "romantisch/tragisch/komisch/satirisch" als intellektuelles Spiel ohne Erkenntniswert herausstellte. Georg G. Iggers hat 2001 an Whites Behandlung von Ranke kritisiert, dass dieser sich lediglich auf einige Vorworte und andere programmatische Äußerungen konzentriert, Rankes zahlreiche Geschichtswerke über Papsttum und Reformation, französische, englische, preußische Geschichte etc. aber ignoriert habe. Hätte er das getan, wäre deutlich geworden, so Iggers, dass Ranke trotz seiner beteuerten Unparteilichkeit ständig politisch motivierte Urteile abgebe. Dies von Iggers zu lesen, entbehrt im Hinblick auf dessen eigene historiographiegeschichtliche Arbeiten nicht einer gewissen Komik. Sein Buch über die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war in den 1970er Jahren ein großer Erfolg gewesen. Es war eine Variante der von Luther/Hegel/beliebiger Name bis Hitler-Literatur, ein Sündenregister der chauvinistischen, antidemokratischen, antisemitischen etc. Positionen, die deutsche Historiker vertreten hatten (und gewiss auch der rühmlichen Gegenbeispiele). Dass ihn letztlich nur die politischen Ansichten der Historiker interessieren, hat Iggers dann noch einmal in seiner Kritik an White offenbart. Deutsche Geschichtswissenschaft wird bei Iggers auf Werke reduziert, die deutsche Historiker mit politischen Intentionen über deutsche Geschichte geschrieben haben. So wird zum Beispiel Heinrich von Sybel ausführlich behandelt, dessen Geschichte der Revolutionszeit jedoch nur am Rande erwähnt. Sybels Betonung der verheerenden Folgen protosozialistischer Bewegungen in der Französischen Revolution reflektierte die Furcht vor der sozialen Revolution, die 1848 neue Nahrung in der Angst vor der roten Republik gefunden hatte. Aber Sybel hatte eine Vielzahl unpublizierter Materialien benutzt und als einer der ersten die Aktenbestände des Wohlfahrtsausschusses ausgewertet. Deshalb mussten sich auch französische Historiker, die seine Bewertung der Revolution überhaupt nicht teilten, mit ihm auseinandersetzen; dass das Werk eines Deutschen zur Revolution 1869 auch in französischer Übersetzung erschien, unterstreicht dies noch einmal. In dieser deutschen Geschichtswissenschaft kommen auch Mediävis-ten und Althistoriker nicht vor. Georg Waitz, dessen Seminare in Göttingen von Studenten aus ganz Europa und Übersee besucht wurden, wird nicht erwähnt. Die ausländischen Historiker, die gerade nach der Reichsgründung nach Deutschland und speziell Berlin kamen, waren nicht von dem Wunsch beseelt, dabei zu sein, wie die "ganze Weltgeschichte von Adam an siegesdeutsch angestrichen" wurde, sondern sie wollten sich bei Koryphäen methodisch schulen lassen und/oder sich mit der Ausbildung in historischen Seminaren als mögliche Vorbilder für ihre eigenen Universitäten vertraut machen. Theodor Mommsen kommt bei Iggers nur als politisch engagierter In-tellektueller vor, Eduard Meyer wird einmal wegen seiner Weltkriegspublizistik erwähnt. Wie Arnaldo Momigliano einmal lakonisch bemerkt hat, ist es leichter, Meyers politische Pamphlete zu kritisieren, als seine Auswertung der Papyrusfunde von Elephantine nachzuvollziehen. Die folgenden Untersuchungen gehen von der - eigentlich banalen - Prämisse aus, dass es nicht darauf ankommt, was Historiker über ihre eigene Arbeit sagen, sondern zu analysieren, wie tatsächlich der Weg von den Fragestellungen und Vorannahmen über die Quellenanalyse zur Darstellung verlaufen ist. Dafür kann man sich nicht auf die Auslegung von Vorworten und anderen programmatischen Äußerungen beschränken, wie dies zum Beispiel in den Fällen von Ranke oder Droysen so oft der Fall war. Bei Ranke wurden aus Aperçus über Objektivität als regulative Idee ("wie es eigentlich gewesen", oder: "ich möchte mein Selbst auslöschen") eine Geschichtstheorie abgeleitet, die als entweder naiv oder irreführend qualifiziert wurde (siehe Iggers); und Droysen wurde eine Kulturgeschichte des Hellenismus unterstellt, die dann zu einem der wichtigsten nie geschriebenen Werke in der Geschichte der Geschichtswissenschaft avancierte. Die Selbstzeugnisse in Form von Briefen, die im Regelfall zu Lebzeiten der Verfasser nur einem kleinen Adressatenkreis bekannt waren, sind hinsichtlich ihrer (intellektuellen) Biographien einschlägig, besagen meistens aber nur bedingt etwas darüber, wie die jeweiligen Werke im Forschungsdiskurs ihrer Zeit anzusiedeln sind. Wichtiger sind hierfür im Regelfall die unmittelbaren Reaktionen von Zeitgenossen, wie sie sich in Rezensionen oder anderen sofortigen Stellungnahmen ausweisen. Es gilt dann, die möglichen Diskrepanzen zwischen dem zeitgenössischen Echo und den späteren Einschätzungen durch die Fachwissenschaft zu erklären. Geschichtswissenschaft besteht nicht nur oder in erster Linie aus erzählender Geschichtsschreibung, sondern aus Forschung, die sich in Quelleneditionen, Detailuntersuchungen, systematischen Handbüchern usw. ausweist. Das Verhältnis von historischer und antiquarischer Methode (Momigliano) ist ein Leitmotiv dieses Buches. In der historiographi-schen Praxis kann damit sehr unterschiedlich umgegangen werden. Während Gibbon in Decline and Fall of the Roman Empire seine Verarbeitung einer reichen antiquarischen Literatur ostentativ ausgewiesen hat, fand Theodor Mommsen, dass seine Römische Geschichte nicht der Ort sei, darzulegen, wie er zu seinen Ergebnissen gekommen ist. Damit ist zugleich darauf verwiesen, dass die Fortschritte der deutschen Altertums- und Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, die ihr eine internationale Spitzenstellung sicherten, nicht, wie es einem gern gepflegten Selbstbild entspricht, überhaupt erst den wissenschaftlichen Umgang mit den Zeugnissen der Vergangenheit begründet haben, sondern vor dem Hintergrund einer viel älteren Tradition zu sehen sind. Wenn im Folgenden von der Althistorie die Rede ist, muss bedacht werden, dass es (noch) nicht um eine institutionell eigenständige Disziplin geht, sondern nur um den Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses, das Männern mit vielfältigen öffentlichen Rollen gemein war. Da gibt es den Typus des Privatgelehrten (Gibbon) ebenso wie den des Politiker-Historikers in den unterschiedlichen Ausprägungen von Niebuhr und Grote. Selbst bei den Universitätsprofessoren ist Mommsen als Professor für Römische Geschichte und Altertumskunde in Berlin (ab 1861) eine Ausnahme, und dies auch erst in einem neuen Karriereabschnitt, nachdem er zuvor Professuren für Römisches Recht bekleidet hatte. Dagegen hat Droysen in Kiel, Jena und Berlin Professuren ...

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