Beschreibung
Einwanderung als Bedrohung? Thilo Sarrazin hat mit seinen Thesen zur erblichen Intelligenz ethnischer Gruppen alte Weltbilder in die gesellschaftliche Diskussion zurückgeholt, so auch die Angst vor dem Fremden. Die Debatte darüber nehmen die Autorinnen und Autoren zum Anlass, neben der Frage der Genetik auch die Mythen zu Kriminalität, Integrationsbereitschaft, Schul- und Wirtschaftsleistung von Migrantinnen und Migranten kritisch zu beleuchten. Sie zeigen, dass das eigentliche Integrationsproblem nicht die Migranten selbst sind, sondern der eindimensionale Standpunkt der Gesellschaft.
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Autorenportrait
InhaltsangabeInhalt Einwanderung - Bedrohung oder Zukunft? Mythen und Fakten zur Integration7 Andreas Heinz, Ulrike Kluge MigrantInnen als Bedrohung - Die neue Diskursfähigkeit einst abgelegter Weltbilder16 Ulrike Kluge, Seyran Bostanci Geschichte der >Rassen< und Rasse-Geschichten - Zur Historie und biologischen Plausibilität umstrittener Begriffe36 Andreas Heinz, Ulrike Kluge Intelligenz versus Integration? Die gefährliche Konstruktion der >gefährlichen Klassen<54 Andreas Heinz Warum Haut und Haarfarbe nichts mit genetisch bedingten Intelligenzunterschieden zu tun haben80 Elsbeth Stern, Roland H. Grabner, Aljoscha Neubauer Gemeinsame Intentionalität94 Michael Tomasello, Malinda Carpenter Die Vermessung der Intelligenz im Kontext sozialpolitischer Fragen107 Stefan Gutwinski, Michael Rapp, Andreas Heinz Migration und Bildung in Deutschland125 Jürgen Baumert, Kai Maaz Positive Entwicklung trotz besonderer Herausforderungen - Das wenig beachtete große Potenzial von Kindern aus zugewanderten Familien Birgit Leyendecker156 Vom Mythos der Stagnation - Fakten zur Bildungsbeteiligung von Personen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland174 Naika Foroutan, Coskun Canan Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland - Die Sinus-Migrantenmilieus197 Marc Calmbach, Bodo Flaig Migration und Integration in Deutschland - Lebenslügen, Stereotype und wissenschaftliche Befunde213 Ludger Pries "Rassismus"? Die Debatte zu Aussagen von Thilo Sarrazin hat verdeutlicht, wie eng der Begriff in Deutschland verstanden wird233 Hendrik Cremer Migration wirkt positiv, aber nicht für alle!250 Thomas Straubhaar Zuwanderung, Demografie und Arbeitsmarkt - Fakten statt Vorbehalte263 Holger Hinte, Ulf Rinne, Klaus F. Zimmermann Gewalt und gescheiterte Lebensläufe? Konstruktionen, Bilder und Zerrbilder von Migrantenjugendlichen279 HaciHalil Uslucan >Ausländerkriminalität< - Ihre Instrumentalisierung durch Politik, Medien und ihre >Klienten<297 Fritz Sack Autorinnen und Autoren321
Leseprobe
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Diese schlichte Aussage war vor ca. 10 Jahren, als die Volkswagen Stiftung die Vorbereitungen für die erste Förderwelle von Projekten zu Migration und Integration vorbereitete, durchaus noch umstritten. Heute wissen wir, dass Deutschland jährlich ebenso viele oder sogar mehr Menschen durch Auswanderung verliert als es durch Einwanderung hinzugewinnt. Aber was ist aus diesen schlichten Tatsachen zu folgern? Das Problem tabuisierter Themen wie derjenigen, ob Einwanderung in Deutschland zur Normalität gehört oder nicht, ist, dass das Verdrängte als Unheimliches wiederkehrt - vertraut und doch in fremder, bedrohlicher Gestalt. Heimlich vertraut sind die Debatten um das deutsche Wesen, um die Frage, was es eigentlich heißt, ein Deutscher bzw. eine deutsche Staatsbürgerin zu sein oder zu den Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland zu gehören. Während es in den Vereinigten Staaten von Amerika normal ist, dass ein dort geborenes Kind die nationale Staatsbürgerschaft erhält, ist dies in Deutschland keineswegs der Fall. Wer auf deutsche Vorfahren verweisen kann, hat es leichter, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, auch wenn die Familien Jahrhunderte lang in anderen Teilen der Welt lebten, als ein Kind ohne entsprechende Vorfahren, das im Territorium der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde. Was hier debattiert und verhandelt wird ist die Identität der verspäteten Nation Deutschland?? und ihrer Bewohner. Joachim Fischer schreibt unter Rückgriff auf Plessner: "Deutschland sei die geschichtlich späte und deshalb entsicherte Nation des um seine Welt- und Wertstellung ringenden Europas." Plessner erklärt, dass Deutschland zum Zeitpunkt seiner Reichsgründung im Vergleich zu anderen europäischen Staatsvölkern vergleichsweise traditionslos gewesen sei. Auf die Phase der Verleugnung, in der trotz des bekannten, drastischen Alterungsprozesses der Bevölkerung niemand so recht wahrhaben wollte, dass unsere Gesellschaft einem so dramatischen demografischen Wandel unterliegt, dass sie ohne Migration nicht zu "retten" ist, folgte die Phase des erwachenden Realitätsprinzips, aber auch der politischen Korrektheit, so dass vorsichtig über Migration und Integration debattiert werden konnte. In den letzten Jahren hat sich die Debatte nochmals gewandelt; einer schrittweisen Anerkennung der Realität, dass Menschen in Deutschland zugewandert sind und ihre kulturellen Praxen und Lebensformen in sehr unterschiedlicher Ausprägung beibehalten wollen und werden, folgte eine Phase der inszenierten Dramatisierung der existierenden Situation, die sich in Debatten und Fragen entlud, ob beispielsweise die Türken intellektuell zur Integration unfähig seien, weil sie zu viel Cousinenhochzeiten aufweisen. Ist die Intelligenz also tatsächlich - wie in den aufgeregten Debatten der letzten Jahre erstmals seit Jahrzehnten wieder artikulierbar - erblich, und sollte ein Land wie Deutschland von daher regulieren, ob es Menschen nur aus Gegenden der Welt zuwandern lässt, in denen eine ethnisch oder gar rassisch bedingte, hohe kognitive Funktionsfähigkeit gegeben ist? Muss die Bundesrepublik Deutschland ein neues Mutterkreuz für Akademikerinnen erfinden? Ist es politische Unterdrückung und spricht es gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wenn die eben genannten Fragen als Wiedererweckung eines altbekannten eugenischen Diskurses bezeichnet werden? Dabei muss man daran erinnern, dass die Eugenik hier in Deutschland mit den bekannten mörderischen Folgen direkt verknüpft war - in anderen Regionen der westlichen Welt, beispielsweise in Großbritannien, zentrierte sich die eugenische Debatte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts eher um die Förderung des Nachwuchses von Akademikerinnen und Akademikern, die Fortpflanzung sogenannter wertvoller Familien, als auf die Ausmerze der vermeintlich Minderwertigen. So nannte Mary Stopes, eine britische Botanikerin und Frauenrechtlerin, die von ihr 1921 gegründete Organisation "Society for Constructive Birth Control and Racial Progress". Hintergrund war ihre Befürchtung einer übermäßigen Fortpflanzung "sozial schwächerer" Bevölkerungsgruppen. Im Gewirr der aktuellen Debatten in Deutschland, die sich letztendlich um die Identität eines Landes drehen, dessen Grundgesetz als direkter Gegenentwurf zur Vernichtung der vermeintlich minderwertigen und der rassistischen Zwangssterilisation und Ermordung der angeblich fremdrassigen Menschen zu verstehen ist, drohen die eigentlichen Fakten verloren zu gehen. Fakten, die sich darauf beziehen, ob Migration in Deutschland ein notwendiger Teil des demokratischen Alltags ist (und zwar nicht allein nur aufgrund des demografischen Wandels), und ob die einwandernden Menschen gleiche Rechte haben wie die hier lebende Bevölkerung, ob also Menschenrechte uneingeschränkt oder eingeschränkt umgesetzt werden müssen. Und je nachdem, wie diese Fragen beantwortet werden, stellt sich die Frage nach der Markierung der Differenz, der Abgrenzung von den vermeintlich Anderen: Wie ausgeprägt unterscheiden sich Menschen in biologischer Hinsicht tatsächlich voneinander? Lassen sich biologische Differenzen in Bezug auf Hautfarbe oder Haarform, Religion oder geographische Herkunft, kognitive Leistungsfähigkeit oder gar sozialen Erfolg vorhersagen? In welchem Umfang lässt sich Kriminalität durch soziale, kulturelle oder biologische Faktoren erklären oder eben nicht usw. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels scheint es schon aus reinen Nützlichkeitserwägungen als unabdingbar, dass die rapide alternde deutsche Gesellschaft sich dem Zustrom von Menschen aus anderen Regionen dieser Welt öffnet. Aber hinter diesen Nützlichkeitserwägungen stellt sich die Frage, was es überhaupt heißt, ein Deutscher oder eine Deutsche zu sein, noch einmal anders. Worin bestehen Gemeinsamkeiten, worin die Unterschiede zwischen einem Deutschen und einer Person anderer nationalstaatlicher Herkunft? Ist die Identität unseres Landes durch Kultur geprägt oder durch biologische Ähnlichkeiten, auch wenn man dies in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte kaum sagen durfte und diejenigen, die diese Differenzen jetzt thematisieren, sich mit großem Effekt als Tabubrecher in Szene setzen? Dass sich die Identität unseres Landes auf biologische Gemeinsamkeiten zurückführen lasse, kann klar verneint werden, und es ist ein wesentliches Ziel dieses Bandes, die Narrative einer vermeintlich ethnischen (bzw. in der deutschen Übersetzung des Begriffs noch drastischer benannten völkischen) Identität der Deutschen mit widersprechenden biologischen Fakten zu konfrontieren und so zu entmyhtologisieren. Ein erster Blick in die Geschichte der Deutschen vermag das sehr einfach zu illustrieren: So stammen die Deutschen keineswegs von den Germanen ab - vielmehr sind die Menschen im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland Nachkommen der Slaven, Kelten und Germanen, der römischen Besatzungssoldaten aus den verschiedensten Regionen Europas, der Hugenotten, der vor der Gegenreformation geflohenen Südtiroler, der Dänen im Norden und Niederländer im Westen, der Sorben im Osten, all jener Soldaten, die nach dem Verlust von einem Drittel der deutschen Bevölkerung im 30-jährigen Krieg in Deutschland blieben und Kinder zeugten, der Juden, die seit Jahrtausenden in Deutschland lebten, der Roma, der Kriegsgefangenen und Verschleppten, der schwarzen Kinder französischer Besatzungssoldaten im ersten Weltkrieg, der afro-deutschen Kinder amerikanischer Besatzungssoldaten im zweiten Weltkrieg, der Vielzahl von Migranten, die seit den 60er Jahren auf der Suche nach Arbeit in die Bundesrepublik Deutschland oder in die ehemalige DDR eingewandert sind, der Asylsuchenden wie der japanischen Community, die sich in Düsseldorf und anderen Städten im Rahmen der industriellen Produktion und des Handels angesiedelt haben usw. usw. usw. Bereits hier ist die Heterogenität und Verschiedenheit innerhalb der Gru...