Beschreibung
Internet, E-Mail, Mobiltelefon, TV - die modernen Kommunikationsmittel verändern den Alltag und die Gesellschaft. Die Medien sind ein Faktor der Macht geworden. Wo aber zeigt sich diese Macht? An welchen Orten und in welchen Erscheinungsformen? Lässt sie sich bestimmten Gruppen eindeutig zuordnen und wer kontrolliert sie? Oder wirken die alten Mechanismen unter der neuen Oberfläche weiter? Die Beiträge des sechsten Bandes des Philosophicum Lech u.a. von Robert Menasse, Cora Stephan, Peter Glotz, Walter Grasskamp gehen diesen Fragen nach.
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Leseprobe
Wer über die »Kanäle der Macht« spricht, dem eröffnet sich ein weites Assoziationsfeld. Daß die Macht kein statisches Verhältnis ist, sondern dynamisch zwischen Personen und Gruppen, zwischen einzelnen und vielen fließt, sich immer wieder neu konstituiert, verzweigt, neue Zentren sucht und in alte zurückkehrt, wissen wir spätestens seit den diskursanalytischen Arbeiten von Michel Foucault. Daß die Macht aus demokratisch organisierten Gesellschaften nicht verschwunden ist, sondern sich nur eine andere Gestalt gegeben hat, können wir mit guten Gründen vermuten, auch wenn es eine Zeit lang inopportun war, von Macht zu sprechen, und Machträger beredt alle Macht von sich wiesen und nur mehr unter einer mitleidheischenden Last der Verantwortung zu stöhnen schienen. Wie immer die Macht einer Gesellschaft organisiert ist - sie braucht Kanäle, Medien, über die sie sich mitteilen und durchsetzen kann, und sie braucht die Bilder ihrer selbst. Keine Macht ohne Attribute, keine Macht ohne ästhetische Präsenz, keine Macht ohne Symbole, aber auch keine Macht ohne Ablenkung, falsche Fährten und Irreführungen. Es gibt nicht nur die glitzernde Oberfläche der Macht, ihre Demonstrationen und ihre Präsenz auf den Bildschirmen, es gibt immer auch die geheimen und die dunklen Kanäle der Macht, die verborgenen Informations- und Befehlsflüsse, die im Hintergrund wirkenden Abhängigkeiten und Sachzwänge, die halblegalen und illegalen Druckmittel und Drohungen, die entscheidenden unausgesprochenen Gesten und Andeutungen, die ominösen Sekretäre und Hintermänner, die unbekannten Ratgeber, Ghostwriter und Einflüsterer, die grauen Eminenzen und die lustvoll kolportierten Gerüchte darüber, wer nun eigentlich »wirklich« das Sagen hat. Wer das Sagen hat. Diese alltagssprachliche Formel zitiert die Urszene der Macht. Jemand ist imstande, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen und seine Interessen gegenüber anderen durchzusetzen. Ich kann machen, was ich will und du machst, was ich sage. Das ist Macht. »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.« Die klassische soziologische Definition von Macht und Herrschaft, wie sie Max Weber im frühen 20. Jahrhundert festlegte, hat nichts von ihrer Brisanz eingebüßt, auch wenn die starren Autoritätsverhältnisse längst ausgedient haben und eine illusionäre Beschreibung der Gesellschaft gerne vollmundig von Kommunikation, Kooperation, Verantwortung, Teamwork und Sachkompetenz dort sprach, wo es in der Regel schlicht um Macht ging. Heute sehen wir wieder ein wenig klarer, auch wenn wir die Dinge ungern beim Namen nennen und, um der Wahrheit der eigenen Sprache zu entgehen, gerne in euphemistische Anglizismen verfallen. Aber natürlich meinen leadership und Qualitätsmanagement nichts anderes, als daß die Abfolge von Befehl und Gehorsam wieder funktioniert. Macht ist nur dort, wo Befehlen gehorcht wird. Der Stachel des Befehls, von dem Elias Canetti schrieb, ist auch der Stachel der Macht, von dieser nicht zu trennen. Daß Befehle nicht im Kasernenhofton herumgebrüllt werden müssen, um befolgt zu werden, weiß jeder, der das sanfte Kopfnicken seines Vorgesetzten, seines Mitarbeiters, seines Partners befolgt. Und in Gesellschaften, in denen der Befehl moralisch diskreditiert ist, scheint der vorauseilende Gehorsam ohnehin die gängige Variante, mit der man der Macht dient, ohne sie in die Verlegenheit zu bringen, sich klar artikuliere Leseprobe