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Mein Kriegsende

Erinnerungen an die Stunde Null

Erschienen am 29.09.2010
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783549073827
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Dreiundzwanzig prominente Autoren und Künstler erzählen von ihren letzten Kriegstagen 1945. Ein eindrucksvolles Panorama der Stunde Null, eine Sammlung ungewöhnlicher und anrührender Geschichten. Es erinnern sich unter anderen: Dieter Hildebrandt, Barbara Rütting, Kurt Masur, Ralph Giordano, Gotthilf Fischer, Edgar Hilsenrath, Joachim Fest, Carola Stern, Günter Lamprecht, Wolfgang Leonhard, Peter Rühmkorf, Uta Ranke-Heinemann. Dieter Hildebrandt schildert seine Erlebnisse als 17-jähriger Rekrut im letzten Aufgebot Hitlers, das fast ausschließlich aus Jugendlichen oder Kriegsversehrten bestand. Sie sollten der von den Russen eingekesselten Reichshauptstadt Berlin zu Hilfe eilen. Edgar Hilsenrath erlebte das Kriegsende bereits im Herbst 1944 in einem jüdischen Ghetto in der Ukraine, als die Russen in das Gebiet einmarschierten. Der Achtzehnjährige schlug sich nach Palästina durch, war wochenlang unterwegs, ging mehrere hundert Kilometer zu Fuß und schrieb in dieser Zeit seine ersten Novellen. 'Mein Kriegsende' war eine erfolgreiche Sendereihe des WDR-Fernsehens. Dieter Hildebrandt und Felix Kuballa haben diese berührenden, sehr persönlichen Berichte nun für ein Lesepublikum zusammengestellt.

Autorenportrait

Dieter Hildebrandt, geboren 1927, Deutschlands bekanntester politischer Kabarettist. Der 'Scheibenwischer' wurde unter ihm zur Institution im deutschen Fernsehen. Hildebrandt wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Adolf-Grimme-Preis und dem Schillerpreis.

Leseprobe

Sie erinnern sich vielleicht nicht … … an das Kriegsende – weil Sie einesteils zu jung, andernteils nicht mehr willens sind. Möglicherweise können unsere Kinder und Kindeskinder aber auch einfach nicht mehr hören, was wir altgewordenen Kriegskinder zu berichten haben. Gewöhnlich beginnt es ja lang atmig mit den Worten: »Damals standen wir …« Oder: »Wir konnten doch nicht ahnen, dass wir später …« Oft verlassen dann sehr schnell ein paar junge Menschen genervt den Raum, wenn auch auf Zehenspitzen. Deshalb versuche ich meine Geschichte möglichst so zu erzählen, dass kein Zuhörer die Gelegenheit bekommt, sich zu entziehen. Also beginne ich meist von hinten, ungefähr so: »Wie schön, dass ich dieses Jahrtausend noch erleben durfte!« – und arbeite mich dann bis zum Jahr 1945 zurück. Die in diesem Buch zusammengefassten Geschichten müssten – so hoffe ich zumindest – auch diejenigen berühren, die die letzten Kriegsmonate nicht erlebt haben und bisher nur wenig Interesse dafür aufbringen konnten, so persönlich, eindringlich und dramatisch sind die Erlebnisberichte der hier versammelten Kulturschaffenden. Da ist zum Beispiel diese junge Frau, damals überzeugte Hitler-Anhängerin. Führer-Treue scheint ihr das Wichtigste zu sein, nach Deutsch-Südwestafrika will sie auswandern, dort als Farmerin leben, so ihr Traum. Doch als sich ihr Idol erdreistet, plötzlich den »Heldentod« zu sterben, um der Niederlage zu entgehen, ist sie stinksauer. Dass dieselbe Frau, mit Namen Carola Stern, sich später einmal als engagierte Journalistin vehement für Demokratie und Menschenrechte einsetzen würde, wer hätte das erwartet … Oder dieser junge Wiener Jude – gerade mal sechzehn Jahre alt, als er die Heimat verlassen muss. Im Exil wird er Soldat für die US-Armee und kommt als solcher zurück nach Europa. In München, ausgerechnet aus der Wohnung des »Führers« in der Prinzregentenstraße, schreibt er seinem Vater nach New York. Auf Hitlers Brief papier. Georg Stefan Troller, der damalige Gefangenenbefrager, wird später zum renommiertesten Reporter im deutschen Fernsehen. Während die eine, in Danzig versteckt, den Einmarsch der Russen herbeisehnt, dann aber statt Erlösung die Hölle erlebt, können sich andere, an der Front in Holland, in die Musik retten und so, zumindest für ein paar Stunden, der Wirklichkeit entfliehen. Einstige Hitlerjungen, Wehrmachtssoldaten wie ich, aber auch Verfolgte des Naziregimes, die im KZ im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben spielen mussten – mit Gitarre und Akkordeon –, erzählen davon, wie es war, das Kriegsende zu erleben. Vom Endsieg war zuletzt keine Rede mehr. Viel mehr glaubten wir daran, Opfer von Mord und Totschlag zu werden, als an die Möglichkeit zu überleben. Wir – auch ich – waren erzogen worden, zu glauben, dass unsere Feinde Mörder, Untermenschen, ja eben Bolschewisten seien und keine Gefangenen machten. Bestenfalls sahen wir uns nach dem Krieg in Sibirien erfrieren oder verhungern. So ganz genau wusste ich wohl nicht, was ich da sagte, als mir damals der Satz herausrutschte: »Wenn uns der Iwan erwischt, können wir was erleben.« Es wurde vereinzelt gelacht in der Gruppe. Noch im April 1945, als wir in der Altmark herummarschierten, trat in einem Gutshof ein Offizier auf einen Stuhl und verkündete, dass die Amerikaner den Krieg mit Deutschland beendet hätten und nun mit ihren Panzerkräften – natürlich gemeinsam mit den deutschen Waffenbrüdern – den bolschewistischen Feind aus dem Land jagen würden. Es wurde vermutet, dass es sich bei diesem Offizier um einen Gestapo-Agenten handelte. Ohne ein bisschen Humor war das Ende nicht zu überstehen. Der große Kabarettist Werner Finck beschrieb seinen letzten Kriegstag folgendermaßen: »Ich ging zur Schreibstube, meldete mich vorschriftsmäßig bei unserem Hauptfeldwebel, und zwar am 8. Mai 1945 um 13 Uhr, und fragte, wie es sich gehörte, ob noch etwas anliege. Der Hauptfeldwebel sagte: »Es hat sich erledigt.« »Erst dann«, so Finck, »gab ich mich dem Zusammenbruch hin.« An diesem 8. Mai exakt eine Stunde später, um 14 Uhr, standen wir Kinderlandser am Ufer der Elbe, die Sonne brannte auf uns nieder, und wir stellten beglückt fest, dass niemand mehr auf uns schoss. Da waren wir glücklich. Für uns war es kein Zusammenbruch, sondern ein Aufbruch. Zweifellos hat diese Zeit uns alle geprägt, aber nicht geschafft. Nicht nur, dass wir das »Tausendjährige Reich« überlebt haben, viele von uns meisterten ihr Leben danach recht passabel: So finden sich hier die Erinnerungen großer Dirigenten, bedeutender Schriftsteller, bekannter Schauspieler und Journalisten – sie haben auf ihre Weise die deutsche Nachkriegskultur geprägt. Naheliegend natürlich, dass für viele die NSZeit lebenslang Thema geblieben ist – Gott sei Dank aber nicht das einzige. Dieter Hildebrandt

Inhalt

Dieter Hildebrandt Vorwort: Sie erinnern sich vielleicht nicht … 9 Esther Bejarano Die Gedanken sind frei 13 Eva Ebner »Nehmen Sie die!« 25 Joachim Fest Befreit durch Bücher 33 Gotthilf Fischer Glory, Glory, Hallelujah 43 Ralph Giordano Im Rattenloch 51 Max von der Grün Der Baumwollpflücker 59 Dieter Hildebrandt Den Führer entsetzen 67 Edgar Hilsenrath Auf nach Palästina 77 Günter Kunert Kellerträume 85 Günter Lamprecht »Wojna kapuut!« 97 Wolfgang Leonhard Mit der Gruppe Ulbricht in Berlin 107 Erich Loest Der Werwolf 117 Kurt Masur Pianist im Schloss 127 Gisela May Kusshände für die Russen 135 Uta Ranke-Heinemann Trümmerteenager 143 Peter Rühmkorf Der Anti-Nazi-Klub 153 Barbara Rütting Beten für den Führer 163 Tana Schanzara Äppelfahrt 171 Coco Schumann Ku’damm/Ecke Uhlandstraße 181 Carola Stern Die Hundertfünfzigprozentigen 187 Georg Stefan Troller Sie haben alle nichts gewusst 195 Giselle Vesco Feuersturm über Dresden 205 Gerhard Zwerenz Fahnenflucht 215 Editorische Notiz 223 Bildnachweis 223

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