Beschreibung
Philip Roth erzählt die Geschichte eines Lebens, wie es normaler nicht sein könnte und das uns gerade deswegen besonders berührt. Von der ersten schockierenden Konfrontation mit dem Tod in den Sommerferien seines Helden über die familiären Wirren und die beruflichen Erfolge in seinem Erwachsenenleben als Designer in einer Werbeagentur bis hin zu der Zeit, als ihm die eigenen Gebrechen zusetzen. Er ist der Vater zweier Söhne aus erster Ehe, die ihn verachten, und einer Tochter aus einer späteren Ehe, die ihn vergöttert. Er liebt, hasst und neidet und muss am Ende erkennen, dass er das wirklich große Glück nie erreicht hat.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
pina.lore@hanser.de
Kolbergerstaße 22
DE 81679 München
Autorenportrait
Homepage von Philip Roth
Leseprobe
Er stand am Grab unter zwei Dutzend seiner Verwandten, zu seiner Rechten seine Tochter, die seine Hand umklammerte, hinter ihm seine zwei Söhne, seine Frau neben seiner Tochter. Nur dort zu stehen und den Schlag hinzunehmen, den der Tod des Vaters stets bedeutet, erwies sich als eine erstaunliche Herausforderung an seine physischen Kräfte - gut, daß Howie links neben ihm stand und einen Arm fest um seine Hüfte gelegt hatte, um zu verhindern, daß irgend etwas Unschickliches geschah. Seine Mutter und sein Vater waren immer leicht zu durchschauen gewesen. Sie waren eine Mutter und ein Vater. Sie hatten nur wenige andere Wünsche. Aber der Raum, den ihre Körper eingenommen hatten, war jetzt leer. Ihre lebenslange Stofflichkeit war dahin. Der Sarg seines Vaters, eine schlichte Kiefernkiste, wurde an Gurten in das Loch hinabgelassen, das man neben dem Sarg seiner Frau für ihn ausgehoben hatte. Dort würde der Tote noch viel mehr Stunden verbringen, als er mit dem Verkauf von Schmuck zugebracht hatte, und schon das war nicht zu verachten gewesen. 1933, in dem Jahr, in dem sein zweiter Sohn geboren wurde, hatte er das Geschäft aufgemacht, und 1974, nachdem er Verlobungs- und Eheringe an drei Generationen von Familien in Elizabeth verkauft hatte, hatte er es abgestoßen. Wie er 1933 das Kapital beschafft hatte, wie er 1933 überhaupt Kunden gefunden hatte, war seinen Söhnen immer ein Rätsel geblieben. Aber ihretwegen hatte er seinen Job hinter der Uhrentheke in Abelsons Geschäft an der Springfield Avenue in Irvington aufgegeben, wo er montags, mittwochs, freitags und samstags von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends und dienstags und donnerstags von neun bis fünf gearbeitet hatte, und sein eigenes kleines Geschäft in Elizabeth eröffnet, der ganze Laden nur fünf Meter breit und vom ersten Tag an mit der schwarzen Aufschrift auf dem Schaufenster versehen: 'Diamanten - Schmuck - Uhren', und darunter in kleinerer Schrift: 'Reparatur von Uhren und Schmuck aller Art'. Im Alter von zweiunddreißig Jahren war er endlich so weit, daß er seine sechzig bis siebzig Stunden die Woche nicht mehr für Moe Abelson, sondern für seine eigene Familie arbeitete. Um die starke Arbeiterschicht von Elizabeth anzulocken und die Zehntausende frommer Christen der Hafenstadt nicht mit seinem jüdischen Namen zu verunsichern oder abzuschrecken, gewährte er großzügig Kredit - und achtete nur darauf, daß sie mindestens dreißig oder vierzig Prozent in bar anzahlten. Nie prüfte er ihre Kreditwürdigkeit; solange er nur seine Kosten wieder hereinholte, konnten sie hinterher zu ihm kommen und ein paar Dollar pro Woche abzahlen oder auch gar nichts, und es machte ihm wirklich nichts aus. Die Kredite brachten ihn nie in wirtschaftliche Schwierigkeiten, und der zufriedene Kundenstamm, den er durch seine Flexibilität gewann, war das Risiko wert. Zur Dekoration und zum Anlocken der Kundschaft hatte er immer einige versilberte Stücke im Laden - Teeservice, Tabletts, Warmhalteschüsseln, Kerzenständer, die er spottbillig verkaufte -, und alljährlich zur Weihnachtszeit hatte er eine verschneite Szene mit dem Weihnachtsmann im Schaufenster, aber sein größter Geistesblitz war der Name des Ladens, denn er nannte ihn nicht nach sich selbst, sondern 'Jedermanns Schmuck laden', und so war er in ganz Union County bei den Massen normaler Leute bekannt, die seine treuen Kunden waren, bis er seinen Lagerbestand an den Großhändler verkaufte und sich mit Dreiundsiebzig aus dem Geschäftsleben zurückzog. 'Für arbeitende Menschen ist es eine große Sache, sich einen Diamanten anzuschaffen', erklärte er seinen Söhnen, 'und sei er noch so klein. Die Frau trägt ihn, weil er schön ist, oder sie trägt ihn als Statussymbol. Und wenn sie das tut, ist ihr Mann nicht bloß ein Klempner - sondern einer, dessen Frau einen Diamanten trägt. Seine Frau besitzt etwas, was unvergänglich ist. Denn jenseits von Schönheit und Status und Wert ist ein Diamant unvergänglich. Ein Teil der Erde, de ... Leseprobe