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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446200579
Sprache: Deutsch
Umfang: 560 S.
Format (T/L/B): 3.8 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Man schreibt das Jahr 1591, Istanbul ist vom Schnee bedeckt. Ein Toter spricht zu uns aus der Tiefe eines Brunnens. Er kennt seinen Mörder, und er kennt auch die Ursache für den Mord: ein Komplott gegen das gesamte Osmanische Reich, seine Religion, seine Kultur, seine Tradition. Darin verwickelt sind die Miniaturenmaler, die beauftragt sind, für den Sultan zehn Buchblätter zu malen, ein Liebender und der Mörder, der den Leser bis zum Schluß zum Narren hält. Ein spannender Roman, der, als historischer Krimi verkleidet, immer wieder auch auf die gegenwärtige Spannung zwischen Orient und Okzident verweist.

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Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
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Autorenportrait

Homepage von Orhan Pauk (Englisch)

Leseprobe

Ein Toter bin ich nun, eine Leiche auf dem Grund eines Brunnens. Schon längst tat ich meinen letzten Atemzug, schlug mein Herz ein letztes Mal, doch niemand weiß, was mir geschah, nur mein ruchloser Mörder. Der aber, widerlicher Schuft, hat auf meinen Atem gehorcht und mir den Puls gefühlt, um sicherzugehen, daß ich wirklich tot war, dann hat er mir einen Tritt in die Weiche versetzt, mich zum Brunnen geschleppt, hochgezerrt und hineinfallen lassen. Mein Schädel, eingeschlagen von einem Stein, wurde beim Sturz in den Brunnen gänzlich zertrümmert, meine Stirn, meine Wangen wurden zerdrückt und waren hin, meine Knochen brachen, meinMund füllte sich mit Blut. Vor vier Tagen schon hätte ich heimkommen müssen - meine Frau und die Kinder sind auf der Suche nach mir. Meine Tochter, ganz erschöpft vom Weinen, blickt zum Gartentor; aller Augen sind auf die Straße, auf das Tor gerichtet. Sind die Augen wirklich auf das Tor gerichtet? Auch das weiß ich nicht. Vielleicht haben sich alle mit der Lage schon abgefunden, wie schrecklich! Hat man doch an diesem Ort einfach das Gefühl, jenes Leben, das man hinter sich ließ, ginge weiter wie bisher. Eine unendliche Zeit war vergangen bis zu meiner Geburt. Und jetzt nach meinem Tod kommt wieder eine unendlich währende Zeit! Nie habe ich darüber nachgedacht, als ich noch am Leben war; ich ging meiner Wege und weilte im Licht zwischen den beiden Zeiten der Dunkelheit. Ich war glücklich, muß glücklich gewesen sein, das begreife ich jetzt. Meine Goldverzierungen waren die besten in der Werkstatt unseres Padischahs, und keiner der anderen Vergolder konnte es mit mir aufnehmen in dieser Meisterschaft. Zusammen mit solchen Arbeiten, die man mir noch außerhalb der Werkstatt gab, bekam ich hundert Asper im Monat auf die Hand. Dies alles macht meinen Tod natürlich noch unerträglicher. Mir oblag nur das Ornamentieren und das Vergolden. Ich schmückte die Seitenränder, setzte Farbiges in den Rahmen, zeichnete bunte Blätter, Blüten, Zweige, Rosen und Vögel ein. Wolkenkringel im chinesischen Stil, dicht deckendes Blattwerk, bunte Wälder mit darin verborgenen Antilopen, Galeeren, Sultane, Bäume, Paläste, Pferde, Jäger... Früher hatte ich hin und wieder das Innere eines Tellers ausgeschmückt, manchmal die Rückseite eines Spiegels oder die Hohlseite eines Löffels, manchmal die Zimmerdecke einer Villa am Ufer des Bosporus oder auch die eines Landhauses, manchmal auch eine Truhe... In den letzten Jahren jedoch habe ich nur an Buchseiten gearbeitet, weil unser Sultan für Bücher mit Bildern viel Geld bezahlte. Daß ich begriffen hätte, als mir der Tod begegnete, wie unwichtig das Geld im Leben ist, kann ich nicht sagen. Die Bedeutung des Geldes ist dem Menschen auch dann noch bewußt, wenn er das Leben verloren hat. Was ihr jetzt erlebt, ist ein Wunder, denn ihr könnt meine Stimme trotz meines Zustandes vernehmen, und ich weiß, ihr werdet nun folgendes denken: Laß das im Leben erworbene Geld! Beschreibe, was dir dort widerfährt. Was kommt nach dem Tod, wo ist deine Seele, wie sind sie, Paradies und Hölle, was siehst du dort? Wie ist das Sterben, hast du Schmerzen? Ihr habt recht. Ich weiß ja, daß der Mensch im Leben nur allzugern erfahren möchte, was im Jenseits vor sich geht. Erzählt man doch eine Geschichte von einem, der nur dieser Wißbegier wegen auf blutigen Schlachtfeldern zwischen den Leichen umhergewandert ist... Dieser Mann, der meinte, unter den sterbenden Kriegern vielleicht einen zu finden, der nach dem Hinscheiden wieder zum Leben erwacht war und ihm die Geheimnisse der anderen Welt verraten könnte, wurde von Timurs Soldaten als Feind betrachtet und deswegen mit einem Schwerthieb in zwei Teile gespalten, so daß er am Ende glaubte, die Menschen seien zweigeteilt in der anderen Welt. Nichts dergleichen.Mehr noch, ich kann euch sagen, daß hier sogar die im Diesse ... Leseprobe

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