Beschreibung
Komisch, melancholisch, aufwühlend - die Geschichte eines jungen Mannes, der mit sich selbst und dem Leben kämpft Ich hatte eine schöne Kindheit. Mutter ging früh zu Bett. Vater starb, als ich zwölf war. So unverwechselbar und lakonisch beginnt die Geschichte von Adrian - Sohn einer depressiven Mutter und eines geheimnisumwitterten Vaters, der sich erschießt, als der Junge zwölf Jahre alt ist. Kurz zuvor hatte Adrian ihn noch an seinem Arbeitsplatz besucht, und noch Jahre später wird er das Schild an der Bürotür des Vaters vor sich sehen: Bin gleich zurück. Im Leben bleibt Adrian ein Außenseiter, näheren Kontakt scheint er nur zu Emilie, einem Mädchen aus der Nachbarschaft zu haben. Bis diese eines Tages spurlos verschwindet
Autorenportrait
Lars Saabye Christensen, 1953 in Oslo geboren, ist einer der bedeutendsten norwegischen Autoren der Gegenwart. Seine Bücher sind in 36 Sprachen übersetzt und wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nordischen Literaturpreis, mehrmals mit dem Norwegischen Kritikerpreis, dem Preis des Norwegischen Buchhandels sowie dem Preis des Norwegischen Verlegerverbandes.
Leseprobe
Der Fotoapparat Ich hatte eine schöne Kindheit. Mutter ging früh zu Bett. Vater starb, als ich zwölf Jahre alt war. Ich war Einzelkind. Wir wohnten in einer großen Wohnung in der Straße hinter dem Schloss. Ich kann mich an die drei Stuben erinnern, die ineinander übergingen, durch breite Schiebetüren geteilt, die immer offenstanden, und an die schweren Portieren mit Quasten, die zur Seite gerafft waren, wie ein dunkler Bühnenvorhang. Vater saß im Sessel in der hintersten Stube und las in der Life. Das Licht von den hohen Fenstern - entweder waren es die Straßenlaternen oder der Mond im Herbst oder aber die Sonne, die sich in grünen Bündeln durch den wilden Wein ihren Weg bahnte, wenn der Frühling kam - ließ seine weißen Handschuhe leuchten, als wären es nur diese Hände, die von ihm sichtbar waren. Ab und zu schaute er auf, bemerkte mich und zögerte einen Moment lang, bevor er weiterblätterte. Ich stand so weit entfernt, dass ich nicht sehen konnte, ob er lächelte oder sich gestört fühlte. Als er tot war, fühlte ich keine Trauer, nur eine Art Erschöpfung. Es war meine Tante, die mir mitteilte, dass er tot war. Ich kam aus der Schule, Ende September, an einem Tag, an dem schon etwas Merkwürdiges geschehen war, denn ich hatte die brutale Einsamkeit meiner Mutter gesehen, es regnete, und da war dieses dürre Klappergestell, meine unverheiratete Tante, Vaters ältere Schwester, die so alt war, dass sich viele fragten, ob die beiden wirklich gleichen Ursprungs sein konnten, und jedes Mal, wenn ich sie sah, kam mir in den Sinn, wie unmöglich doch die Vorstellung war, dass Vater von irgendjemandem der kleine Bruder war. Sie knackte mit den Fingern, das war eine schlechte Angewohnheit von ihr, fünf Mal ein trockenes Knacken. "Er ist tot", sagte die Tante. "Wer?" "Dein Vater." Dann strich sie mir schnell mit der Hand übers Gesicht, das vom Regen ganz nass war, vielleicht glaubte sie ja, ich hätte angefangen zu weinen. Sie folgte mir zu meiner Mutter nach drinnen. Deren Weinen war echt. Es war übrigens das erste Mal, dass ich in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer war, das jetzt ihr allein gehören sollte. Ein breiter Nachttisch stand zwischen den Betten. Vaters Handschuhe lagen unter der Lampe. Jetzt konnte ich sehen, dass sie fleckig waren, die Finger ganz grau, von Druckerschwärze oder vom Tabak. Sie leuchteten nicht mehr. "Kann ich die Hefte haben?", fragte ich. Mutter schaute mich an, verwundert. "Was meinst du?" "Life. Kann ich sie jetzt haben?" Mutter setzte sich im Bett auf, hob die Hand, und ich glaubte, sie wollte mich schlagen, und duckte mich, aber meine Tante konnte sie aufhalten. "Nun, nun, das war doch nicht so gemeint", flüsterte sie. Aber ich hatte es genau so gemeint. Ich wollte die Hefte haben. Es gab keine Hintergedanken in meinen Worten, keine Bosheit in meinem frommen Wunsch. Mutters Augen wurden trocken und kalt. Sie war seiner Ideen überdrüssig, und sie war meiner überdrüssig, als wenn alles, was passiert war, meine Schuld gewesen wäre. "Du solltest dich schämen", sagte sie. "Schäm dich!" Und vielleicht war es genau da, in diesem Augenblick, als Mutter sagte, ich solle mich schämen, dass mir meine Schamlosigkeit ungewohnt deutlich vor Augen stand. Es ist mein Gebrechen, und es ist vorgekommen, dass ich mich gefragt habe: Ist das der Punkt, wo das Licht eindringt, oder ist es der Punkt, wo das Dunkel hervorquillt? Ich habe kein Schamgefühl. Vater wurde sieben Tage später im Vestre Krematorium beigesetzt. Erst da beschloss Mutter aufzustehen. Sie weinte und kleidete sich schwarz. Es war die Tante, die alles organisiert hatte, Blumen, Anzeige, Telefonate, Anwälte, Polizei. Sie war diejenige, die ins Krankenhaus fuhr, um meinen Vater zu sehen, ihren Bruder, zum letzten Mal, aber das wurde ihr nicht erlaubt, der Sarg, in dem er lag, war bereits verplombt. Es war Vaters Arzt, Doktor Ask, der es ihr abschlug, er sagte, er tue das aus Rücksicht auf uns alle, denn Vater war kein schöner Anblick. Doch das, was Leseprobe
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