Beschreibung
Die schwedische Diplomatin Cecilia kehrt nach vielen Jahren zurück in ihr Heimatdorf, um ihre sterbenskranke Mutter zu pflegen. Sie tritt die Heimreise mit gemischten Gefühlen an: Wird sie die Geister der Vergangenheit bannen können? Zu viel Sprengstoff steckt in den Erinnerungen an ihre Kindheit, zu groß waren die Spannungen zwischen den Eltern, zu sehr ist sie an ihrer besten Freundin von damals schuldig geworden. So vieles blieb unausgesprochen, und es scheint an der Zeit, die alten Schulden zu begleichen.
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Leseprobe
Jeden Nachmittag kommt die Haushaltshilfe und löst mich ab. Für eine Stunde werde ich befreit. Am Dienstag und am Donnerstag ist es Gunilla, meine alte Schulfreundin. Sie hängt ihre Steppjacke an Mamas Garderobe aus Messing und grüßt kurz, während sie den Schal in den Jackenärmel stopft. Sie achtet genau darauf, mich nicht anzugucken. "Wie geht es ihr?", fragt sie. "Kaum verändert", antworte ich. "War der Doktor da?" "Nein. Aber die Gemeindeschwester. Die Liegewunden sind schlimmer geworden." Gunilla schiebt die Ärmel ihres Baumwollpullovers hoch und kontrolliert, ob die Handschuhe auch in der Jackentasche liegen, sagt aber nichts weiter. Sie weiß, was ich will, ist aber unerbittlich. Ich muss fragen. "Kann ich für eine Weile rausgehen?" "Natürlich", sagt sie. "Mach du nur deine Promenade..." Anfangs war ich überrascht, dass sie so ironisch reagierte. Aber dann fiel es mir wieder ein: In Nässjö darf man keine eingebildeten Worte benutzen. Promenade ist ein eingebildetes Wort. Lunch ebenso. Inzwischen sage ich, dass ich eine Runde drehen will und dass ich mitten am Tag zu Mittag esse, aber sie verzeiht es mir trotzdem nicht. Ich nehme einen von Mamas Pelzen, den braunen Nerz, denn ich habe keinen eigenen Mantel mehr, bleibe dann in der Tür stehen und sage: "Ich bin bald zurück..." Sie lehnt sich an den Türpfosten zwischen Garderobe und Flur, die Arme vor der Brust verschränkt. "Geh nur, ich weiß ja Bescheid." Ich schließe die Tür, fülle die Lunge mit Winterluft und mache mich auf den Weg den Gamlarpsvägen entlang, weg vom Bananenhaus und dem süßen Geruch nach Krankheit. Dienstags und donnerstags gehe ich nie weit, nur bis zum Eksjöberg und zurück. Während dieser Zeit soll Gunilla arbeiten, aber es gibt nicht viel für sie zu tun. Ich habe bereits Staub gewischt und gesaugt, die Waschmaschine und die Geschirrspülmaschine gefüllt, habe die Badezimmer geputzt und das warme Essen, das richtige Essen, das sie Abendbrot nennt, vorbereitet. Ich weiß nicht, was sie tut, während ich weg bin, aber ich kann es mir denken. Zuerst geht sie in das große Schlafzimmer, zieht die bereits straffen Laken noch einmal straff und lauscht Mamas schweren Atemzügen, dann wischt sie die bereits gewischten Möbel noch einmal ab, etwas halbherzig, nur um des Scheines willen. Und wenn sie im oberen Flur angekommen ist, bleibt sie eine Weile stehen, bevor sie tief Luft holt und beschließt, es noch einmal zu versuchen. Sie geht mit schnellen Schritten zu meinem Zimmer und fasst die Klinke an. Es ist abgeschlossen. Deshalb ist sie so wütend. Weil ich abschließe und nicht erzählen will. Ich habe Angst vor ihr und ihrer Wut. Obwohl ich mein Zimmer abschließe und nichts erzähle. Sie bleibt mit ihrer Enttäuschung dort stehen und kommt mit leeren Händen in den Pausenraum der Haushaltshilfenvermittlung, ohne Antwort auf die Frage, die ganz Nässjö hinter meinem Rücken flüstert. Was ist wirklich mit Butterfield Berglund passiert? Was? Sie glauben, ich wüsste die Antwort, ich wüsste es, nur weil ich dabei war. Wie könnte ich Gunilla Karlsson erklären, dass es Menschen gibt, die nicht einmal ihrer eigenen Erinnerung trauen? Ich bin einer von ihnen. Das, was ich gesehen habe, und das, was ich nicht gesehen habe, ist beides gleich deutlich. Nimmt man nur meine Erinnerung an Gunilla als Kind: ein sandfarbenes kleines Mädchen mit drahtigem Haar und vernarbter Oberlippe, das auf dem Schulhof steht und erzählt, wie sie mit ihrer besten Freundin heimlich die Haushälterin des Rektors beobachtet hat. Ich weiß, von wem sie redet, ich sehe sie jeden Tag, wenn ich von der Schule komme. Sie tritt aus dem Reihenhaus, der Junggesellenwohnung des Schulleiters, im Mantel und mit einer Mädchenmütze, so einer, die mit einer Kordel unter dem Kinn gebunden wird. Der Knoten ist schwer aufzukriegen, das weiß ich, denn ich selbst habe vor einer Ewigkeit und zwei Jahren so eine Mütze gehabt - als ich in die Vorschule g ...