Beschreibung
Ihre Bilder sehen so lebendig aus, dass die Leute munkeln, der Teufel würde ihr die Hand führen. Seit vier Jahren schon ist die junge Buchmalerin Donata deshalb auf der Flucht vor der Inquisition. Als sie eines Nachts auch noch Zeugin wird, wie ein Kardinal einen hochrangigen Inquisitor ermordet, wird sie nur um so erbarmungsloser verfolgt. Denn von nun an ist sie die Schlüsselfigur in einem perfiden Ränkespiel um die Macht im Deutschen Reich des Mittelalters.
Autorenportrait
Beate Sauer wurde 1966 in Aschaffenburg geboren. Sie studierte Philosophie und katholische Theologie in Würzburg und Frankfurt am Main. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin in Bonn.
Leseprobe
Die Kräfte verließen Donata. Sie taumelte gegen einen Baumstamm und verschloss vor der weißen Ödnis ringsum die Augen. Seit zwei Tagen war der Schnee in dichten Schwaden über den Wäldern der Eifel niedergegangen, lastete auf Bäumen und Strauchwerk und löschte die Konturen der Landschaft aus. Der Schnee machte jeden Schritt mühsam, ließ sie ausgleiten und raubte ihr die Kraft. Und er war schuld daran, dass sie irgendwann im Verlauf dieses Tages den Weg verloren hatte, der sie von Burgund nach Köln führen sollte. Die Erschöpfung umfing Donata mit einer grauen, sanften Schwere. Sie wollte sich fallen lassen und an der Wurzel des Baums liegen bleiben. Doch ein eisiger Windstoß, der durch ihre Kleidung schnitt, und der Wille, der sie während der vergangenen vier Jahre am Leben erhalten hatte, brachten sie wieder zu sich. Sie durfte nicht einschlafen. Wenn sie einschlief und nicht mehr erwachte, wartete die Hölle auf sie. Sie stolperte vorwärts, kämpfte sich weiter durch Schnee und Unterholz. Irgendwann bemerkte sie, dass sich die Abenddämmerung zwischen die Bäume senkte. Bei dieser Kälte und ohne einen geschützten Ort - das wusste sie nur zu gut - würde sie die Nacht nicht überleben. Nicht daran denken. Der Schnee hatte eine stumpfgraue Farbe. Wie Bleiweiß, mit ein wenig Ruß und Kobalt gemischt. Und der Ast vor ihr war, unter der Schneeschicht, lang gezogen und schmal. Ranken verhakten sich im Wollstoff ihres Mantels. Sie zerrte sich los. Doch ihre Bewegung war so heftig, dass sie stolperte. Der Boden unter ihr gab nach. Sie verlor endgültig das Gleichgewicht und stürzte einen Abhang hinunter. Während sie fiel, hatte Donata unwillkürlich die Augen geschlossen. Als sie die Lider wieder öffnete, schaute sie in einen grellgelben, von dunkelgrauen Wolken gesäumten Streifen Himmel. Es dauerte einige Augenblicke, ehe sie begriff, dass ihr keine Zweige mehr die Sicht versperrten. Hastig richtete sie sich auf und sah sich um. Der steile Abhang, den sie hinuntergestürzt war, bildete den Rand einer Lichtung. Nicht weit entfernt von ihr befand sich die Ruine einer kleinen Kirche. Das Mauerwerk und ebenso die Balken, die aus dem weit gehend zerstörten Dach ragten, waren vom Feuer geschwärzt. Die Umrisse von anderen Mauern und eine hohe Hecke zeichneten sich unter dem Schnee ab. Sie deuteten darauf hin, dass die Kirche zu einem Kloster gehört hatte. Der Blitzschlag, Räuber oder Soldaten mochten es niedergebrannt haben. Der Schnee, der die Lichtung bedeckte, war, abgesehen von Tierspuren, unberührt. Während der letzten Tage hatte kein Mensch den verfallenen Ort aufgesucht. Ein Windstoß peitschte die Äste der Bäume. Flocken wirbelten aus den schweren, tief fliegenden Wolken. Die ersten Boten eines Schneesturms. Donata zögerte nicht länger, sondern hastete auf die Ruine zu. Als sie nur noch wenige Schritte vom Eingang entfernt war, griff sie nach dem Messer, das sie in ihrem Bündel bei sich trug. Zur Flucht bereit, trat sie an die Türöffnung. Doch auch der Schnee, der sich im Inneren ausbreitete, wies keine Fußtritte von Menschen auf. Langsam ging Donata durch den zerstörten Raum, wobei sie immer noch das Messer umklammert hielt. Der gemauerte Altar in der Apsis hatte das Feuer überstanden. Als sie an seiner Rückseite angelangt war, sah sie, dass aus dem Sockel, sei es durch die Gewalt des Feuers oder durch Wind und Wetter, Steine herausgebrochen waren. Sie kniete nieder, streckte ihre Hände in die Öffnung. Der Altar war hohl. Vorsichtig rüttelte sie am Mauerwerk. Einige der Steine ließen sich bewegen. Donata entfernte sie und tastete das Innere des Sockels noch einmal und gründlicher ab. Sie erkannte, dass sie darin, wenn sie sich zusammenkauerte, Platz finden würde. Unschlüssig verharrte sie, während sie in die dunkle Höhlung blickte. Konnte sie es wagen, sich an einem geweihten Ort zu verbergen? Ein eisiger Windstoß, der durch die Kirche blies und einen dichten Flockenschwall vor sich hertrieb, und die zunehmende Dunkelheit waren Leseprobe