Beschreibung
"Wo ein Ypsilon ist, da steckt nicht selten ein Geheimnis." Wolfgang Hildesheimer Das kleine Flugzeug hat ihn, den Mann in der Mitte des Lebens, direkt von Akureyri nach Grimsey gebracht. Die winzige isländische Insel im Nordmeer, durch die der Polarkreis verläuft, ist für ihn, der schon viel herumgekommen ist, der fünfte arktische Boden, den er betritt. Fast ist es so, als sammele er Inseln. Sein Weg führt ihn über das karge Eiland, hinein in eine Kirche, in der ein merkwürdiges Summen tönt: Fliegen sind es, unzählige Fliegen, aber auch schon tote, verknäult, verklumpt. Draußen, in der Einsamkeit und Natur, Erinnerungen an früher, als er Kind war und Sandinseln am Strand baute, als er ein Junge war und Altpapierlager nach Büchern durchstöberte, als er ein Mann wurde, sich auflehnte und verhaftet wurde. Er, der Fotograf, Berichterstatter und Chronist, braucht Nahrung und neue Filme, trifft freundliche Einheimische, sieht immer wieder einen kleinen Jungen, alles scheint ganz normal, wenn da nicht die weißen Flecken wären, in den Wiesen. Die weißen Flecken werden mehr, und schließlich erkennt er, es sind tote Möwen. Was hat das zu bedeuten, hier, wo die Stille Musik, wo die Landschaft eins mit ihm ist? Am Ende des Tages, nach dem Überschreiten der Insel und dem Durchschreiten seines Lebens, wird er es wissen und ein anderer sein. - Sprachlich brillant, anmutig und kraftvoll, führt diese Novelle durch ein Neuland, das nur der sehen kann, der von einem anderen Leben weiß. "Der Inselsammler hat ein besonderes Exemplar unter den Füßen: die Insel Grimsey in der baumlosen Welt, sehr klein, vom Polarkreis durchzogen, voll Vogelgeschrei und weiß wie Schnee die Möwenkadaver. Alsbald setzt Kino im Kopf ein von anderen Inseln, anderer Natur im anderen Leben. Eine sehr wunderbare Erscheinung ist dieses Buch." Sarah Kirsch
Autorenportrait
Ulrich Schacht wurde 1951 im Frauengefängnis Hoheneck geboren und wuchs in Wismar auf. 1973 in der DDR wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt, wurde er 1976 in die Bundesrepublik entlassen. Dort arbeitete er als Feuilletonredakteur und Chefreporter Kultur für Die Welt und Welt am Sonntag. Schacht erhielt verschiedene Preise, Auszeichnungen und Literaturstipendien, u. a. den Theodor-Wolff-Preis für herausragenden Journalismus. Er galt als ein streitbarer Publizist, der sich nicht Konventionen, sondern einer humanistischen Tradition verpflichtet fühlt. Ulrich Schacht starb 2018. Zuletzt bei Aufbau: "Vereister Sommer" (2011) und "Grimsey" (2015).
Leseprobe
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Schlagzeile
Der Inselsammler