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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783312002894
Sprache: Deutsch
Umfang: 134 S.
Format (T/L/B): 1.4 x 19.5 x 12.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Über sieben Jahre hinweg wächst die Freundschaft zwischen Johann und dem gleichaltrigen Ludwig. Bis wir Zwillinge sind, sagt Ludwig, denn nur so haben sie beim Ruder-Wettkampf im Zweier ohne gegen die echten Zwillinge aus Potsdam eine reelle Chance. Als Johann mit Ludwigs Schwester Vera schläft, versucht er es vor Ludwig zu verbergen. Der wird immer seltsamer. Statt zu fasten für den Wettkampf, beginnt er maßlos zu fressen. Er klettert auch immer häufiger hinauf zur Brücke, von der sich manchmal nachts die Selbstmörder stürzen. Spannend und von einer lakonischen Poesie - ein kleines Kunstwerk!

Autorenportrait

Dirk Kurbjuweit, 1962 in Wiesbaden geboren, war von 1990 bis 1999 Redakteur bei der ZEIT, dann beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel als Reporter, stellvertretender Leiter des Hauptstadtbüros, politischer und heute stellvertretender Chefredakteur. Wichtigste Preise: Egon-Erwin-Kisch-Preis (1998 und 2002), Medienpreis des Deutschen Bundestags (2009), Roman-Herzog-Medienpreis (2011), Deutscher Reporterpreis (2012). Mehrere seiner Romane wurden fürs Kino verfilmt und für die Bühne dramatisiert. Bei Hanser zuletzt erschienen: Alternativlos (Merkel, die Deutschen und das Ende der Politik, 2014) und Die Freiheit der Emma Herwegh (Roman, 2017).

Leseprobe

In der nacht, als das Mädchen vom Himmel fiel, wurde Ludwig mein Freund. Es war Sommer, ich lag wach und horchte, das Fenster stand offen. Es war zwei Uhr morgens. Ich sah das an dem Radiowecker, der auf dem Nachttisch stand, gelb beleuchtete Ziffern, die leise klapperten, wenn sie umsprangen. Ludwig schlief. Wenn kein Auto über die Brücke fuhr, hörte ich seinen Atem. Kam ein Auto, hörte ich erst ein schwaches Pfeifen aus der Ferne, dann ein Rauschen, lauter werdend, immer lauter, dann leiser, immer leiser. Nachts fuhren nicht viele Autos über die Brücke. Ich lauschte angestrengt auf das nächste Pfeifen, lieber ein Auto als Ludwigs Atem und das leise Klappern in der Stille. Vielleicht konnte ich deshalb nicht schlafen, vielleicht weil ich darüber nachdachte, ob Ludwig mein Freund sein könne. Ein Lastwagen zog über die Brücke, ein dunkles Pfeifen, ein kräftiges Rauschen, darunter das Dröhnen des Motors, bei Lastwagen hörte man immer den Motor, aber nur bei Lastwagen. Ich war nicht sicher, ob Ludwig zu mir passt. Dann fiel das Mädchen vom Himmel. Nach der Schule waren wir zu Ludwig nach Hause gefahren. Er hatte mich eingeladen, zum ersten Mal. Wir fuhren bis zum Stauwehr, dann nahmen wir ein Schiff, obwohl man von unserem Städtchen bis zum Haus von Ludwigs Eltern nur eine Viertelstunde mit dem Fahrrad brauchte. Aber er bestand darauf, am Stauwehr auf das Schiff der Weißen Flotte zu steigen, die im Sommer einen kleinen Liniendienst unterhielt. Wir waren die einzigen Fahrgäste auf dem kleinen, weißen Schiff, das leise brummend durch das weite Tal glitt, rechts und links grüne Hänge, dazwischen Äcker, Pferdekoppeln und unter uns der Fluss, in dem wir nicht schwimmen durften. Direkt voraus lag die Brücke. Ich weiß bis heute nicht, wie viele Pfeiler sie hat, obwohl ich oft versucht habe, sie zu zählen. Ich fing links an, mein Blick wanderte von Pfeiler zu Pfeiler, und ich zählte zügig bis sechs, sieben, verlor dann aber die Gewissheit, welchen Pfeiler mein Auge als Nächstes erfassen müsse und, schlimmer noch, die Gewissheit, welchen Pfeiler ich zuletzt gezählt hatte. Ich begann von vorn, sechs, sieben, acht. Moment - wirklich acht, immer noch sieben oder doch schon neun? Es konnte einen fertig machen, es konnte einem sogar richtig schwindelig werden, weil man so angestrengt schaute. Ich versuchte es meistens von links, weil es von rechts noch schlimmer war. Ich kann nur sagen, dass es 15, 16 oder 17 Pfeiler waren, aus hellem Beton, stämmig und doch verstörend schmal, zu schmal für den Wind, für die großen Laster, für vier Spuren Autobahn, gebettet in grünen Stahl. Ich weiß auch nicht, wie hoch die Brücke ist, ich kenne keine genaue Zahl, obwohl wir uns viel damit beschäftigt haben. Hoch wie der Himmel, sagten wir als kleine Jungs, hoch wie der Mount Everest, höher als ein Wolkenkratzer. King Kong, sagten wir, müsste sich nicht bücken, wenn er auf der Jagd nach uns unter der Brücke hergehen würde. Die erste Zahl, die wir nannten, war tausend Meter, sie schrumpfte mit den Jahren. Bei fünfzig, sechzig Metern hörten wir auf. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Man kann so schlecht in den Himmel hinein schätzen. Hoch ist die Brücke, sehr hoch. Leseprobe